Hirslanden Fachartikel

Prof. Dr. med. Arnold arbeitet seit 2002 als Kniespezialist. Seit 2015 fokussierte er sich immer klarer, seit 2022 ausschliesslich auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit individuellen, massgefertigten Knieprothesen. Seit 2016 erfasst er das Befinden von Patientinnen und Patienten mit klassischen und massangefertigten Knieprothesen. Was er in seiner klinischen Arbeit in der Sprechstunde schon länger feststellt, kann nun in der ersten vergleichenden Studie zwischen diesen beiden Systemen mit Zahlen belegt werden: Patientinnen und Patienten mit individuellen, massgefertigten Knieprothesen weisen zwei Jahre nach der Operation eine bessere Funktionalität des Knies auf als Patientinnen und Patienten mit einer Standardprothese.

Kniebeschwerden
Interviewer: Christina Lamprecht

Herr Prof. Arnold, Sie haben vor kurzem eine neue Studie mit bahnbrechenden Resultaten zu Knieprothesen publiziert. Was haben Sie in dieser Studie untersucht? 

Wir haben in der Studie verglichen, ob es einen Unterschied gibt in den Resultaten zwischen klassischer Versorgung und Massversorgung, also Prothesen, die auf die Form des Knies des Patienten angepasst sind.

Was hat Sie veranlasst, dies zu untersuchen?

Ich möchte wissen, wie es meinen Patientinnen und Patienten geht. Und ich möchte wissen, ob es tatsächlich so ist, wie ich glaube, nämlich dass es ihnen mit einer individuellen Knieprothese besser geht als mit einer Standardprothese. Und zwar über mein Gefühl in der Sprechstunde hinaus, denn es geht ja den meisten gut. Deshalb wollte ich Zahlen dazu haben. Da wir als Knie-Team schon immer innovativ unterwegs waren, leisten wir uns seit 2016 eine wissenschaftliche Mitarbeiterin und verfügen seither über eine wissenschaftliche Infrastruktur und Logistik.

Wie sind Sie bei der Studie vorgegangen?

Wir haben sogenannte PROMs (Patient Related Outcome Measures) als Messinstrument eingesetzt. Dabei arbeiten wir mit Fragebögen, die unsere Patientinnen und Patienten zu Hause ausfüllen und in denen sie beantworten, wie es ihnen geht: Vor der Operation sowie vier Monate, ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre und zehn Jahre nach der Operation. Das Ausfüllen dauert rund 15 Minuten.

Als Zeithorizont haben wir zwei Jahre gewählt, da die Reifungsperiode nach einer Operation – die Zeit, die der Körper nach einer Knie-Operation benötigt, um zu heilen und sich zu erholen – ein relevanter Faktor ist. Die Verletzung durch die Operation ist bei einer klassischen und individuellen Prothese grundsätzlich die gleiche. Bis alles verheilt ist, dauert es ein bis zwei Jahre. Hinzu kommt, dass das Schweizer Mass-Prothesen-System, das wir seit 2019 verwenden, erst seit Sommer 2018 am Markt ist. Deshalb liegen jetzt erst ausgewertete 2-Jahres-Resultate vor.

Ein spezieller Faktor in der Studie ist der Vergleich von 51 Paaren, sogenannte «Matched Pairs». Mit dieser Methode der klinischen Forschung werden zwei Gruppen von Patienten verglichen, die in Bezug auf wichtige Eigenschaften möglichst ähnlich sind, um Verzerrungen zu minimieren.

Zu welchem Resultat ist die Studie gelangt?

Wir haben tatsächlich relevante und messbare Unterschiede gefunden: Patientinnen und Patienten mit individuellen, massgefertigten Knieprothesen weisen zwei Jahre nach der Operation eine bessere Funktionalität des Knies auf als Patientinnen und Patienten mit einer klassischen Prothese. Insbesondere der Forgotten Joint Score FJS (Instrument zum Prüfen, ob das Gelenk als natürlich wahrgenommen wird) ist deutlich höher und schon fast so gut, wie wenn das Knie nie ein Thema gewesen wäre.

Ich habe in der Sprechstunde schon lange den Eindruck, dass es Patientinnen und Patienten mit Massprothesen schon vier Monate nach dem Eingriff häufig so gut geht wie Patienten mit einer klassischen Versorgung erst nach einem Jahr. In der Statistik zeigt sich das so nicht so klar, da es natürlich Ausreisser nach oben und unten in beiden Gruppen gibt. Nach einem Jahr zeigen sich Unterschiede, die nach zwei Jahren dann deutlicher werden. Dass die Messinstrumente das jetzt sehen, war tatsächlich auch für mich eine Überraschung. Das habe ich nicht erwartet. Jetzt wissen wir: Es ist so, wie es sich in der Sprechstunde anfühlt. Wir haben fast nur noch zufriedene Menschen in der Sprechstunde. Das ist neu und besser als früher.

Und warum ist die Studie bahnbrechend?

Bahnbrechend ist sie, weil wir die ersten sind, die eine vergleichende Studie publizieren zwischen klassischen und massgefertigten Prothesen. Es gibt andere Studien, die zeigen, wie es Patientinnen und Patienten mit Massprothesen geht. Das sind aber bisher Studien von Designern der Implantate und damit etwas heikel. Wir haben eine unabhängige, vergleichende Studie gemacht, so sauber, wie es in der medizinischen Realität möglich ist.

Wann empfehlen Sie Patientinnen und Patienten eine massgefertigte Knieprothese und wann eine klassische?

Inzwischen kommen praktisch ausschliesslich Menschen zu uns, die von unserer Arbeit gehört haben und sich eine Massprothese wünschen. Der einzige Grund, keine Massprothese zu empfehlen ist, wenn jemand bereits eine klassische Prothese hat und damit zufrieden ist. Dann verwende ich das gleiche Modell. Aber das sind inzwischen sehr wenige Patientinnen und Patienten. Ich sehe weder aufgrund der Performance oder Resultate noch aufgrund unserer Revisionsrate einen Grund, jemanden von etwas anderem zu überzeugen.

Was sind die Vorteile von individuellen, massgefertigten Knieprothesen?

Bei klassischen Prothesen plant man vor der Operation ziemlich wenig. Man hat ein Röntgenbild, manchmal sogar nur ein kleines, und zeichnet dort ein, welche Grösse der Prothese eingebaut wird und wie ungefähr. Die ganze Planung basiert auf 2D-Daten – ein Röntgenbild ist eine 2D-Information. Bei Massprothesen braucht es ein Computertomogramm (CT), um das Implantat und die Werkzeuge, die wir verwenden, individuell herzustellen. Das heisst, dass der Ingenieur mit einer räumlichen 3D-Planung arbeitet. Darauf basierend werden die Formen in 3D angepasst, und der Vorteil ist intuitiv klar. Man beschichtet die ursprüngliche Anatomie neu und ändert ansonsten so wenig wie möglich. Das Implantat und die individuelle Ausrichtung werden auf diese Weise der ursprünglichen Anatomie angepasst, statt wie bisher umgekehrt, das Knie dem jeweiligen Implantat angepasst, Das sind die technischen Vorteile, die Resultate sprechen für sich.

Gibt es auch Nachteile bei Massanfertigungen?

Ja, es gibt auch Nachteile. Es braucht ein CT, das heisst, der Patient muss nochmals zum Röntgen. Das kann man als Nachteil betrachten. Die Prothesen und das Werkzeug haben eine Lieferfrist von rund sechs Wochen, sie werden ja einzeln angefertigt. Sie sind teurer als klassische Prothesen, denn der Aufwand bei der Herstellung ist klar höher. Dies wird allgemein versicherten Patientinnen und Patienten zum Teil weiterverrechnet. Die Schweizer Prothese gibt es seit 2018. Wir haben deshalb selbstverständlich keine 20-Jahres-Resultate. Aber wir haben bald die ersten 5-Jahres-Resultate.

Wie oft muss die Prothese ausgewechselt werden?

Nach 15 Jahren sind etwa 90 Prozent der Prothesen erfahrungsgemäss noch gut, und sie haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, weitere Jahre gut zu funktionieren Seit der deutlichen Verbesserung der Polyethylen-Qualität vor rund 15 Jahren ist auch das Abnützen des Plastiks kaum mehr ein Thema – das ist nicht mehr die Schwachstelle. Eine 65-jährige Person, bei der die Operation gelingt und die sinnvoll mit der Prothese umgeht, hat heute eine gute Chance, dass sie das Implantat überlebt. Meine jüngste Patientin, die eine Knieprothese bekommen hat, ist 30. Das ist natürlich eine Ausnahme. Sie wird die Prothese voraussichtlich später wechseln lassen müssen, und das haben wir auch so kommuniziert. Alle Anzeichen zeigen, dass Massprothesen mindestens ähnlich gute oder eher bessere Langzeit-Erfahrungen erreichen werden.

Können Patientinnen und Patienten vorbeugen, dass es gar nicht erst zu einer Knieprothese kommt?

Was wir mit einer Prothese behandeln, wenn alles andere nicht mehr hilft, ist zumeist die Arthrose. Es gibt viele Ursachen und Faktoren, die zu einer Arthrose führen. Gewisse Faktoren kann man nicht beeinflussen, so zum Beispiel die genetische Disposition. Oder rheumatologische Erkrankungen, die ebenfalls in eine Arthrose münden können. Was man beeinflussen kann, ist das Vermeiden von massivem Übergewicht, um die Kniegelenke zu entlasten. Ebenfalls beeinflussen kann man, welche Sportart man ausübt. So erhöht beispielsweise das Fussballspielen das Risiko einer Kniearthrose um den Faktor vier. Die Möglichkeiten der Arthrose-Prophylaxe sind zusammengefasst eher begrenzt.