Artikel: Sprechstunde bei Walter O. Frey
10.12.2022 | PDF | 913.75 KB
Sprechstunde bei Walter O. Frey: Seit fast 40 Jahren betreut er Schweizer Sportgrössen und Hobbyathletinnen. Hier gibt er Antworten zu Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Ernährung.
Wer joggt, belastet seinen Körper stark. Beim Joggen handelt es sich darum keineswegs einfach um schnelleres Gehen. Joggen führt etwa zu grosser Instabilität im Rumpfbereich. Während die Patientin oder der Patient glaubt, Schmerzen in der Hüfte zu spüren, strahlen diese tatsächlich vom Rückenbereich aus. Die Schmerzen lassen sich meist mit einem Stabilisationsprogramm für Rumpf und Rücken beheben. An diesem Beispiel lässt sich eine grosse Herausforderung in der Diagnostik zeigen: Man erklärt mir den Schmerzherd, ich merke anhand weiterer Fragen jedoch, dass das Problem von einer anderen Körperstelle ausgeht. Ich muss also erst einmal zum Kern des Problems vordringen, obschon der Patient es gar nicht benennen kann. Entscheidend ist dann bei der Diagnose: Ich muss sie so erklären, dass sie der Patient auch begreift. Gerne verwende ich darum Analogien aus dem Beruf, den er ausübt. Denn nur wenn der Patient versteht, was ich ihm sagen und mitgeben will, handelt er in der Rehabilitation optimal.
Wissen muss man: Von einem Mittelchen allein wachsen einem keine Muskeln. Da braucht es als Grundlage schon das entsprechende Krafttraining dazu. So mancher meiner Patienten aber fand, mit dem Kauf eines solchen Mittels das Training vernachlässigen zu können. Das Supplement wirkt wie ein Ablasshandel: Ich erkaufe mir Muskelmasse dadurch. Dabei deckt man mit einer Durchschnittskost circa 99 Prozent aller Bedürfnisse des Körpers ab und braucht entsprechend keine solchen Produkte. Bei einem Profi hingegen kann eine Supplementierung sinnvoll sein.
Um diese Frage beantworten zu können, braucht es eine spezifische Analyse des Blutes. Frauen sind wegen der Monatsblutung sehr viel häufiger von Eisenmangel betroffen als Männer. Der Körper kann Eisen über den Darm nur schlecht aufnehmen, darum ist die Ausgangslage herausfordernd. Das beste Nahrungsmittel für die Energiezufuhr ist rotes Fleisch. Der viel gepriesene Spinat hingegen ist gar nicht so geeignet, weil das Eisen gebunden ist und vom Darm nicht herausgelöst werden kann. Lässt sich der Mangel nicht über eine entsprechende Ernährungsweise beheben, helfen allenfalls Tabletten – oder in extremeren Fällen eine Injektion. Am Anfang aber steht immer eine fundierte Abklärung. Recht häufig reicht dann eine Anpassung der Nahrung.
Über den Schmerz teilt sich der Körper mit. Dieses Signal regelmässig mit Medikamenten auszuschalten, ist kontraproduktiv. Man sollte also nur sehr punktuell zu Schmerzmitteln greifen – und der Sache bei wiederkehrendem Problem auf den Grund bzw. die Gründe gehen. Mein Lebensmotto, das sich mit der Studienlage deckt, lautet: Bewegung ist das beste Medikament. Rückenschmerzen nach langem Stehen sind oft auf eine unterentwickelte Rückenmuskulatur zurückzuführen, weil Knochen, Sehnen und Bänder die Stabilität der fehlenden Muskulatur kompensieren müssen und dabei überlasten. Entsprechend müssten in diesem Fall Rumpf und Rücken gestärkt werden.
Wer sein Gewicht steuern will, sollte dies über die Ernährung tun. Denn wenn Sie nicht gerade ein Tour-de-France-Profi sind und folglich Tausende Kalorien pro Tag verbrennen, reicht meist schon der Verzehr eines kleinen Butters im Restaurant – und Sie haben sich die verbrauchten Kalorien Ihres Trainings erneut zugeführt. Die Bedeutung bzw. der Einfluss des Sports beim Abnehmen wird von vielen folglich massiv überschätzt. Weil der Sport aber nicht nur direkt Kalorien verbraucht, sondern gleichzeitig den gesamten Grundumsatz hochschraubt, ist er trotzdem eine wichtige Hilfe beim Abnehmen.
Jede Frau startet auf einem anderen Niveau. Fragen dabei sind: Wie fit war ich davor, wie lange pausierte ich, wie lief die Geburt ab? Stichwörter dazu: natürliche Geburt, Kaiserschnitt, Komplikationen. Es braucht also eine individuelle Ausgangsanalyse. Gestartet wird immer mit einer gezielten Rückbildungsgymnastik, sodass die zentrale Rumpfmuskulatur wieder voll zur Verfügung steht. Zurück im Sportalltag, kann das Wasser ein idealer Zwischenschritt sein, weil es den Körper schwerelos macht. Im Grundsatz aber gilt: Es gibt keine allgemeine Faustregel.
Dazu rate ich dringend. Gehen Sie nämlich zu einem Chirurgen, wird er dem Problem tendenziell mit seinen Mitteln begegnen – also dem Eingriff. Das ist sein Element. Gehen Sie hingegen zu einem Rehabilitationsspezialisten, wird er tendenziell für eine konservative, also nicht operative Vorgehensweise plädieren. Ich empfehle darum, sich stets beide Pole anzuhören und dann zu entscheiden. Wenig sinnvoll ist hingegen, drei verschiedene Chirurgen anzufragen. Da bekommt man in der Regel dreimal die gleiche Stossrichtung zu hören.
Erst einmal: Wenn Sie realisieren, dass Sie innert Kürze an Fitness eingebüsst haben, gehen Sie besser zum Hausarzt und erzählen ihm offen davon. Je älter man wird, desto stärker muss man auf seinen Körper hören. Die Chance, wegen einer Krankheit an Leistungsfähigkeit einzubüssen, wird mit dem Alter immer grösser. Schliesslich kann ein rascher Leistungsabfall im Zusammenhang mit einem Magengeschwür oder einer Herzschädigung stehen. Es kann aber auch ein viel harmloserer Grund sein wie: Sie haben schlicht weniger trainiert und sind darum schwächer geworden.
Kommen Patienten zu mir, die über Muskelkrämpfe klagen, nehmen sie in der Regel eine solche Dosis an Magnesium ein, dass sie Durchfall haben. Dabei löst Magnesium das Problem Muskelkrampf in den seltensten Fällen. Warum solche Krämpfe einsetzen, gehäuft im Alter übrigens, weiss man nicht. In der Regel tragen folgende Aspekte dazu bei: Überbelastung, Mangel an Flüssigkeit, Kraftdefizit und/ oder Stoffwechselprobleme. Nur eine akribische Analyse hilft hier weiter.
Weil Sie zu schnell zu viel wollen und damit dem Körper keine Chance lassen, sich an die Belastung zu gewöhnen. Statt also gleich intensiv zu joggen, was eine enorme Belastung darstellt, sollten Sie besser mit Gehen in moderatem Tempo beginnen. Machen Sie auch Aquajogging, gehen Sie Velo fahren und machen Sie ein Rumpftraining. Wer von einer Verletzung zurückkommt, braucht Geduld. Wer glaubt, abkürzen zu können, erleidet oft Rückschläge und verlängert schlicht seine Rekonvaleszenzzeit.
Es muss kein Virus sein. Der Husten kann Folge eines sogenannten Kälteasthmas sein, das circa 10 bis 20 Prozent der Wintersporttreibenden aufweisen. Das Asthma wird etwa durch Kälte, Leistung, Pollenstaub sowie Infekte ausgelöst. Das Hauptsymptom besteht aus einem unspezifischen, trockenen Husten, der durch repetitive Reize ausgelöst wird. Die gute Nachricht: Man kann dieses Asthma mit entsprechenden Mitteln sehr oft zum Verschwinden bringen und ist dann komplett leistungsfähig.
Wenn man ein Gelenk sehr einseitig bewegt, kann es mit der Zeit überbeansprucht sein – gerade wenn beim Sport noch technische Fehler hinzukommen. Kehrt der Schmerz stets zurück, ist ein Grundsatzproblem vorhanden, das zwingend angeschaut gehört. Wer glaubt, er rette sich über die Zeit, chronifiziert im schlimmsten Fall sein Problem. Es wird dann sehr viel schwieriger, es zu lösen. Selbst wenn ein Warnsignal des Körpers durch Schmerzen zwischen den Belastungen abklingt, muss man dieses ernst nehmen. Oft verursacht die inkorrekte Bewegungsausführung die Schmerzen, also gilt es, die mangelnde Technik anzugehen.
Gehen ist die Grundform unserer Fortbewegung. Wenn wir nicht mehr gehen können, stehen wir still. Dann ist das Pflegeheim nicht mehr weit. Daher empfehle ich das Gehen gerade in Kombination mit kleinen Übungen für die Koordination. Gehen Sie beispielsweise auf dem Randstein, aber stehen Sie nie auf den Strich dazwischen. Der Nachteil des Gehens aber ist, dass man stets sein volles Körpergewicht stemmen muss. Das kann etwa für abgenutzte Gelenke belastend sein. Um die Grundkondition zu erhalten, empfehle ich eine Bewegungsform mit Teilbelastung. Radfahren ist ideal, weil das volle Körpergewicht auf dem Sattel liegt, durch die Bewegung die Gelenke geschmiert werden und die Knorpelzellen lernen, aufeinander zu rutschen sowie feine Belastungen zu ertragen. Allerdings fährt man im höheren Alter besser auf einem Hometrainer. Denn Studien zeigen: Wer über 80 ist und sich den Schenkelhals bricht, hat eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er in den nächsten zwei Jahren stirbt. Ergo gilt es einen Unfall möglichst zu vermeiden. Noch zur Intensität: Grundsätzlich sollte man dabei reden können. Circa 80 Prozent des Trainings kann in diesem tiefen Intensitätsbereich erfolgen. Der Rest sollte intensiver sein.
Der Zürcher (65) baute erst in Davos, dann an der Schulthess-Klinik die Sportmedizin auf, ehe er sich selbstständig machte. Vor elf Jahren verkaufte der ehemalige Skirennfahrer sein Unternehmen move>med mit 40 Angestellten an die Uniklinik Balgrist. Frey praktiziert seit 2021 zwei Tage pro Woche in seiner Praxis in der Klinik Hirslanden in Zürich. Zudem ist er Chefarzt von Swiss-Ski, was ihn drei Tage unter der Woche und an vielen Wochenenden fit hält. Er ist verheiratet und Vater zweier Teenager. (cb)