Die Sehnen des Schultergelenks haben kein einfaches Leben. Die Belastungen sind intensiv, ihre Durchblutung ist von Natur aus ungünstig und ihre Substanz wird durch das Schulterdach eingeengt. Verletzungen der Sehnen können zu bohrenden Nachtschmerzen, aber auch zu einem Verlust an Beweglichkeit und Kraft führen. Eine gezielte Behandlung, angepasst an den Patienten und das Ausmass der Verletzung, bringt die Schulter wieder auf Kurs.

Das menschliche Schultergelenk zählt zu den Wundern der Natur aufgrund seiner ausgeprägten Beweglichkeit und Belastbarkeit. Vier Sehnen, welche als Gesamtheit als Rotatorenmanschette bezeichnet werden, sorgen für die reibungslose Funktion. Sie verbinden den Oberarmkopf mit der Schulterpfanne und sind sozusagen die Schaltzentrale des Gelenks. Eine Verletzung einer oder mehrerer dieser Sehnen kann die Schulter aus der Balance werfen und hartnäckige Schmerzen, besonders nachts, verursachen. Kraft- und Beweglichkeitsverlust sind weitere Symptome, die nach einem Unfallereignis oder bei längerem Bestehen mittels einer ärztlichen Untersuchung und bildgebender Verfahren wie Röntgen und MRI genauer abgeklärt werden sollten. Risse der Rotatorenmanschette (vgl.  Abb. 1) sind in jüngeren Jahren meist unfallbedingt, während mit fortschreitendem Alter die Komponente der Abnützung an Bedeutung zunimmt. 

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Abb. 1 - Bei einer Rotatorenmanschettenruptur (Schultersehnenriss) haben sich eine oder mehrere Sehnen teilweise oder komplett vom Knochen gelöst.

Nicht-operative Therapie

Die Behandlung richtet sich nach verschiedenen Faktoren, vor allem dem Ausmass der Verletzung und dem Alter des Patienten. Nicht jeder Rotatorenmanschettenriss muss operativ behandelt werden. Mittels physiotherapeutischer Beübung kann versucht werden, das Defizit durch eine Kräftigung der noch intakten Sehnen zu kompensieren. Hier ist die Mitarbeit des Patienten ein entscheidender Erfolgsfaktor. Kortisonspritzen können zwar gegen die Entzündung des benachbarten und meist als Folge des Sehnenschadens entzündeten Schleimbeutels appliziert werden, sie sollten aber mit Zurückhaltung und nicht repetitiv angewendet werden, um Folgeschäden an der verletzten Sehne zu vermeiden. 

Operative Therapie

Die Sehnen der Rotatorenmanschette können teilweise oder komplett von ihrem Ansatz am Oberarmknochen abreissen. Bei einem teilweisen Abriss einer Sehne bleiben einzelne Sehnenfasern am Knochen fixiert, die Sehne bleibt also noch gespannt und kann sich nicht zurückziehen, es kommt aber zu Schmerzen. Bei einem vollständigen Abriss einer oder mehrerer Sehnen vom knöchernen Ansatz ziehen sich die Sehnen allmählich zurück. Wenn zwei oder mehr Sehnen abgerissen sind, kommt es neben den Schmerzen zu einer Störung der Beweglichkeit der Schulter. In diesen Situationen wird die chirurgische Refixation der Sehnen, die sogenannte Rekonstruktion, empfohlen, um die Funktion der Schulter wiederher­zustellen und die Schmerzen zu beenden.

Arthroskopische Sehnenrekonstruktion

In der arthroskopischen Operationstechnik wird ein sehr dünnes Stahlrohr (6 mm Durchmesser) durch einen kleinen Hautschnitt in das Schultergelenk eingeführt. In diesem Stahlrohr liegt eine stabförmige Kamera (4 mm Durchmesser). Durch weitere kleine Hautschnitte werden die arthroskopischen Instrumente in das Gelenk eingeführt. Mit diesen Instrumenten kann der Operateur die abgerissenen Sehnen fassen und bewegen und jede noch so kleine Bewegung über das Kamera-Bild am Monitor verfolgen. Es werden dann nicht-auflösbare Fäden mittels speziellen Ankern im Knochen fixiert und über diese Fäden werden die gerissenen Sehnen wieder an den Knochen befestigt (vgl. Abb. 2). 

Die Fixation der Sehnen am Knochen ist sehr straff. Um nach einer Sehnenrekonstruktion möglichst wenig Schmerzen zu haben, wird dabei häufig die lange Bizeps-Sehne mit fixiert. Diese Sehne läuft durch das Schultergelenk zum Bizeps-Muskel und ist sehr häufig ein Schmerzfaktor. Die Funktion des Bizeps-Muskels wird dadurch nicht vermindert, da die zweite, die kurze Bizeps-Sehne, die Funktion weiter übernimmt.

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Abb. 2: Fäden werden durch eine gerissene Sehne gezogen (Arthroskopie-Bild)
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Abb. 3: Nach oben dezentriertes Schultergelenk bei irreparablem Sehnenriss
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Abb. 4: Umgekehrtes Kunstgelenk
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Abb. 5: Zufriedenstellende Schulterfunktion nach umgekehrtem Kunstgelenk

Ziel der Sehnenrekonstruktion ist es, praktisch die gesamte Sehnenplatte der Rotatorenmanschette wieder am Oberarmknochen zu fixieren. Bei Teilrissen der Sehnen oder nach unfallbedingten Abrissen gelingt das in der Regel sehr gut. Das betrifft meistens Patienten der Altersgruppe zwischen dem 45. und 70. Lebensjahr. Bei chronischen Sehnenrissen, bei denen die Sehnen schon weit zurückgezogen sind, gelingt in einigen Fällen nur eine teilweise Rekonstruktion der Sehnen.

Nachbehandlung

Da Sehnen nur sehr langsam heilen, ist nach einer Sehnenrekonstruktion eine mehrmonatige Nachbehandlung notwendig – mit anfänglicher Ruhigstellung und Physiotherapie und später mit Bewegungen, zunächst ohne Belastung. Nach drei Monaten ist ein sanfter und dann zunehmend normaler Krafteinsatz wieder erlaubt. 

Irreparable Risse der Rotatorenmanschette

Bei lange andauernden Sehnenrissen können sich diese vom Oberarmkopf zurückziehen. Die Grösse des Sehnenrisses nimmt zu, und die Muskulatur der Rotatorenmanschette baut ab und verfettet. Dies kann so weit führen, dass die Sehnen nicht mehr am Oberarmkopf angenäht werden können. Solche irreparablen Rotatorenmanschettenrisse können zu Schulterschmerzen und einer Schwäche des betroffenen Armes führen. Teilweise sind die Patienten nicht mehr fähig, den Arm zu heben. Infolge der fehlenden Rotatorenmanschetten-Sehnen wird der Oberarmkopf nicht mehr im Gelenk geführt und gehalten und rutscht beim Zug der anderen Schultermuskeln aus der Gelenkspfanne nach oben (Abb. 3). Solche chronischen und stark behindernden Zustände können trotzdem noch zuverlässig behandelt werden: mit einem umgekehrten Kunstgelenk. 

Warum ein umgekehrtes Kunstgelenk?

Im Bereich der Gelenkspfanne wird eine Metallkugel mit Schrauben fixiert. Auf der Gegenseite wird beim Oberarmkopf eine neue Pfanne aus Kunststoff und einem Metallschaft in den Oberarm fixiert. Die natürliche Biomechanik wird also «umgekehrt». Der kräftige Muskelzug des noch intakten Deltamuskels (Schultermuskel) drückt und stabilisiert die Oberarm-Pfanne an die Kugel (Abb. 4). Das neue «Kunst»-Gelenk ist somit stabil und geführt, und der Arm kann wieder gehoben und eingesetzt werden (Abb. 5).

Die Funktion der Schulter kann zuverlässig wiederhergestellt werden, auch wenn gewisse Patienten finden, dass die neue Schulter zwar gut, aber nicht mehr hundertprozentig funktioniere. Das Heben, das Essen und auch gewisse belastende Tätigkeiten gehen häufig wieder sehr gut. Selbst sportliche Aktivitäten wie Schwimmen, Skifahren, Golf oder gar Tennis sind meist wieder bis zu einem bestimmten Level möglich. Bei einigen Patienten ist der Griff ans Gesäss eingeschränkt, was bei der Hygiene störend sein kann.

Ein positiver Punkt bei der umgekehrten Schulterprothese ist die sehr einfache Nachbehandlung: Der operierte Arm wird lediglich vier Wochen mit einer Schlinge geschützt. Danach darf der Arm (unter Schonung) wieder frei bewegt werden. So dürfen die Patienten dann etwa wieder selber Auto fahren.

Das umgekehrte Kunstgelenk hat sich über die Jahre sehr bewährt und ist das am häufigsten implantierte Kunstgelenk an der Schulter. Auch ist seine Haltbarkeit zuverlässig. So sind 10 Jahre nach Implantation immer noch über 90 % der Patienten zufrieden mit ihrem funktionstüchtigen Schultergelenk.

Endoclinic Zürich
Witellikerstrasse 40
(Eingang Enzenbühltrakt) 8032 Zürich

GLOSSAR

  • SCHULTERDACH: Knochenvorsprung am höchsten Punkt des Schulterblattes, d.h. des dreieckigen Knochens, der den hinteren Teil der Schulter bildet
  • SCHULTERPFANNE: relativ flache Gelenkpfanne des Schultergelenks, die mit dem Oberarmknochen in Kontakt steht
  • ARTHROSKOPIE: minimalinvasive Behandlung eines Gelenks unter Einsatz einer Kamera am Ende eines dünnen Rohres (Arthroskop)
Regina Gerdes
Regina Gerdes
Leiterin Marketing & Kommunikation
Klinik Hirslanden