Bandscheibenvorfall – Ursachen und Behandlung
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Mit zunehmendem Alter leiden immer mehr Menschen unter Bandscheibenproblemen, vorwiegend im Bereich der Lenden- und an der Halswirbelsäule. Ein Bandscheibenvorfall, auch Diskushernie genannt, ist der häufigste Grund für eine Operation an der Wirbelsäule. Und doch muss nur ein kleiner Teil der Bandscheibenvorfälle chirurgisch behandelt werden. Meistens führen die konservative Therapie und Geduld zum Erfolg.
Die Bandscheiben bestehen aus einem Ring aus Bindegewebe und einem weichen, gallertartigen Kern, der für die Beweglichkeit der Wirbelsäule sorgt und als Stossdämpfer wirkt. Beim Bandscheibenvorfall verrutscht der Kern und durchbricht den schützenden Bindegewebsring. Dabei tritt Gallertmasse aus und drückt gegen das Rückenmark oder die Nervenwurzeln (Abb. 1).
Ein Bandscheibenvorfall tritt vorwiegend zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf. Männer sind fast doppelt so oft davon betroffen wie Frauen. Auf eine Diskushernie an der Halswirbelsäule kommen zehn an der Lendenwirbelsäule. Letztere sind der häufigste Grund für eine Wirbelsäulenoperation, auch wenn nicht alle Diskushernien chirurgisch behandelt werden müssen. Rund 50% der Eingriffe erfolgen zwischen dem 5. Lenden- und dem 1. Kreuzwirbel (L5/S1). Am zweithäufigsten ist die nächstobere Bandscheibe betroffen (L4/5).
In der Schweiz werden jährlich rund 4800 Bandscheibenoperationen durchgeführt, in den USA im Verhältnis zur Einwohnerzahl zweieinhalb Mal mehr.
Hauptursache von Bandscheibenvorfällen sind degenerativ bedingte Veränderungen in den Bandscheiben. Durch den normalen Alterungsprozess der Bandscheibe kann es zu Einrissen des Bindegeweberinges kommen. Tritt der gallertartige Kern der Bandscheibe, wie eingangs beschrieben, durch einen solchen Einriss in den Wirbelkanal aus, lautet die Diagnose Diskushernie bzw. Bandscheibenvorfall.
Löst sich der Kern vollständig aus der Bandscheibe, spricht man von einem sequestrierten Bandscheibenvorfall (Sequester, Abb. 4). Ist der Ring nicht vollständig eingerissen, aber geschwächt, kann es zu einer Vorwölbung der Bandscheibe (Protrusion, Abb. 2) kommen, ohne dass Gewebe in den Wirbelkanal austritt. Das Gewebe aus der Bandscheibe kann einerseits mechanisch auf die im Wirbelkanal austretenden Nervenwurzeln drücken und/oder chemisch durch Abbaustoffe die Nervenfasern reizen und so Schmerzen erzeugen.
Der Zeitpunkt und das Ausmass der Abnützung sind überwiegend genetisch bestimmt. Die bekannten Risikofaktoren, wie häufiges Heben von schweren Lasten, Verdrehen des Rückens, Übertragung von Vibrationen auf den Körper (z.B. beim Lastwagenfahren), sitzende Tätigkeiten und Nikotinkonsum spielen nur eine Nebenrolle.
Das typische Merkmal einer Diskushernie ist der sogenannte radikuläre (von den Nervenwurzeln ausgehende) Schmerz: Armschmerz von der Halswirbelsäule und Beinschmerz – auch bekannt als «Ischias» – von der Lendenwirbelsäule ausstrahlend.
Bei einem akuten Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule ist der Rückenschmerz meist im Hintergrund oder geht dem Beinschmerz voraus. Entsprechend verhält es sich bei einer Diskushernie an der Halswirbelsäule: Der Armschmerz dominiert den Nackenschmerz. Mit dem Schmerz können neurologische Ausfälle auftreten. Gefühlsstörungen im Bein oder im Arm sowie Schwächung oder Lähmung einzelner Muskeln beeinträchtigen die Gehfähigkeit bzw. die Hand- und Armfunktionen. Aufgrund der neurologischen Störungen kann der Arzt die Diskushernie bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit lokalisieren.
Bei einem grossen Vorfall in der Lendenwirbelsäule kann das sogenannte Caudaequina-Syndrom auftreten, das durch eine Blasen- und/oder Afterlähmung mit einer Urin- und/oder Stuhlinkontinenz charakterisiert ist. Hierbei handelt es sich meistens um einen chirurgischen Notfall, während isolierte Muskelschwächen oder Gefühlsstörungen in den Beinen oder in den Armen nicht zwingend eine chirurgische Behandlung erfordern.
Der radikuläre Schmerz kann durch Husten, Niesen oder durch Druck bzw. Pressen in der Rücken-Bauch-Gegend ausgelöst oder verstärkt werden. Eine Schmerzminderung hingegen wird durch gleichzeitiges Beugen der Hüfte und der Knie in Rückenlage erreicht.
Das bildgebende Verfahren zur Bestätigung der Diagnose Bandscheibenvorfall ist das MRI (Magnetic Resonance Imaging). Auf einem herkömmlichen Röntgenbild ist ein Bandscheibenvorfall nicht ersichtlich. Im MRI werden die Lokalisation und das Ausmass der Diskushernie bestimmt und die beeinträchtigten Nervenwurzeln dargestellt. Die Untersuchung erfolgt ohne Röntgenstrahlen. Der Befund ist aber nur dann von Bedeutung, wenn er die Symptome des Patienten erklärt. Weniger geeignet ist das MRI zum Nachweisen knöcherner Deformationen.
Die seltenen Bandscheibenvorfälle bei Jugendlichen können sich wesentlich anders präsentieren.Stellt der untersuchende Arzt neurologische Störungen fest, wird eine MRI-Untersuchung durchgeführt, um die Diagnose zu bestätigen und den Bandscheibenvorfall präzise zu lokalisieren.
Die Behandlungsziele sind einerseits die Schmerzlinderung und die Behebung des neurologischen Ausfalls (wenn vorhanden), anderseits die Rückkehr zur Arbeit und zu den täglichen Aktivitäten.
Die meisten Bandscheibenvorfälle haben einen günstigen Spontanverlauf. Dementsprechend ist eine Operation nur dort angezeigt, wo eine konservative (nicht chirurgische) Behandlung und Abwarten nicht zum Erfolg führen.
Gute Voraussetzungen für eine konservative Behandlung:
Die konservative Therapie einer Diskushernie an der Lendenwirbelsäule besteht je nach Schwere der Symptome aus maximal drei Tagen Bettruhe – meist in Böcklilagerung – begleitet von schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten sowie Physiotherapie.
Wenn die konservative Behandlung keine Besserung bringt oder bei ausgeprägten Lähmungen ist eine Operation zu empfehlen. Der Bandscheibenvorfall wird über einen kleinen Zugang hinten in der Mitte des Kreuzes mikrochirurgisch entfernt. Für einen Eingriff an der Halswirbelsäule wird meist ein Zugang vorne am Hals gewählt.
Die Operation ist mit einem stationären Spitalaufenthalt von drei bis sechs Tagen verbunden. Die Rückkehr zu den normalen Aktivitäten sollte innert drei Monaten möglich sein. Die neurologische Erholung einer Lähmung kann leider auch mit einem chirurgischen Eingriff nicht garantiert werden.
Sogenannte endoskopische oder auch Laserentfernungen von Diskushernien sind nur beschränkt anwendbar und wissenschaftlich nicht schlüssig belegt.