Innenbandriss des Kniegelenkes: Spezifische Therapie für jeden Sportler
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Innenbandriss des Kniegelenkes beim Profifussballspieler – wo liegen die Unterschiede im Vergleich zur Behandlung des Breitensportlers?
Es passiert während eines Meisterschaftsspiels der Axpo Super League. Der 25-jährige Profifussballspieler Leandro Kramer* stösst einen seiner berüchtigten Kopfbälle. Noch während der Landung stürzt ihm ein Gegner auf die Aussenseite seines Kniegelenks, während sein Fuss gleichzeitig durch einen anderen Spieler fixiert ist. Sofort verspürt Leandro Kramer Schmerzen im Bereich der Knieinnenseite. Er versucht weiterzuspielen, muss aber feststellen, dass sein Knie instabil ist, und wird deshalb vom Trainer ausgewechselt. Der orthopädische Chirurg Sascha Käsermann, behandelnder Arzt von Leandro Kramer, schildert den Fall:
Als uns Leandro Kramer wegen der Instabilität seines Knies vorgestellt wurde, war die Innenseite des Knies geschwollen. Bei der Untersuchung zeigte sich, dass das Knie in Beuge- und Streckstellung instabil war. Eine Verletzung der Kreuzbänder und Verletzungen im Inneren des Knies konnten ausgeschlossen werden. Zusammengefasst lag bei Leandro Kramer ein Riss des Innenbandes und des hinteren Schrägbandes des Knies vor. Man spricht in diesem Fall von einer Innenbandverletzung Grad III.
Die Stabilität der Knieinnenseite wird hauptsächlich durch das Innenband und das hintere Schrägband gewährleistet. Die 2 Bänder verbinden den Unterschenkel mit dem Oberschenkel. Eine Verletzung betrifft am häufigsten das Innenband. Bei zunehmender Krafteinwirkung kommt es auch zur Verletzung des hinteren Schrägbandes. Die Einteilung der Innenbandverletzungen erfolgt in 3 Grade: Eine Zerrung des Innenbandes entspricht einer Innenbandverletzung Grad I. Das Knie ist in diesem Fall stabil. Bei einer Verletzung Grad II ist das Innenband gerissen (Abb. 1), das Knie ist in gebeugtem Zustand instabil. Bei einer Verletzung Grad III sind Innenband und hinteres Schrägband gerissen, eventuell zusätzlich auch noch das hintere Kreuzband. Das Knie ist in Beugung und in Streckung instabil.
Obwohl von der Verletzungsart her kein Unterschied zwischen Breiten- und Spitzensportlern besteht, gibt es doch einige wichtige Überlegungen bei der Behandlung von Spitzensportlern. Primär geht es um die Frage, ob mit einer konservativen Therapie eine vollständige Heilung mit uneingeschränkter Wiedereingliederung in den Spitzensport erfolgen kann oder ob die operative Therapie sicherer ist, um eine voll funktionierende Struktur nach Ende der Ausheilung zu erzielen. Bei einer Operation muss allerdings immer das Risiko von Infektionen etc. in Betracht gezogen werden. Neben der Art der Verletzung sind vor allem die Sportart und deren spezielle Anforderungen an die verletzte Struktur zu berücksichtigen. Die Heilungszeit spielt häufig eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, da die verletzten Strukturen bei konservativer und bei operativer Therapie eine gleich lange Heilungszeit aufweisen. Ein wichtiger Faktor ist der Zeitpunkt der Verletzung eines Spitzensportlers. Bei einer Verletzung zu Beginn oder kurz vor Ende der Saison sowie vor der Winterpause wird tendenziell eher eine Operation durchgeführt, damit der Spieler sicher beim Trainingsbeginn den ganzen Aufbau mit der Mannschaft mitmachen kann. Differenzierter zeigt sich die Situation bei einer Verletzung in der Saisonmitte. Steht noch ein wichtiges Spiel bevor, versucht man den Spieler mit konservativen Massnahmen innert kurzer Zeit spielfähig zu machen – mit dem Risiko einer erneuten oder einer zusätzlichen Verletzung. Oder man versucht ihn mittels konservativer Massnahmen ohne das Risiko einer zusätzlichen Verletzung durch den Rest der Saison zu bringen, um dann während der Pause eine Operation durchzuführen. Diese Überlegungen erfolgen immer unter dem Gesichtspunkt der grösstmöglichen Stabilität und Funktionalität nach Ausheilung der Verletzung bei möglichst kurzer Rehabilitationszeit.
Innenbandverletzungen Grad I und II werden konservativ behandelt, d.h., das Knie wird gekühlt und entlastet. Bei Verletzungen Grad II bekommt der Patient zusätzlich eine bewegliche Knie-Schiene. Nach Abklingen der Schmerzen beginnt das Aufbauprogramm mit zunehmender Belastung des Knies, Physiotherapie, Kräftigung der Muskeln und Ausdauertraining. Vier Wochen nach der Verletzung werden sportartspezifische Übungen gemacht und der Sportler wieder sukzessive ins Training integriert. Innenbandverletzungen Grad III können im Prinzip ebenso konservativ behandelt werden. Insbesondere im Breitensport ist eine konservative Therapie fast immer die Therapie der Wahl. Im Fussballsport ist die Verletzung des Innenbandes aber etwas differenzierter zu betrachten. Bei Innenristpässen tritt eine Belastung der Innenbandstrukturen des Knies auf. Weil es nach konservativer Therapie mit minimaler Restinstabilität bei Profifussballspielern beim Innenristpass zu einer leichten Aufklappung des Knies mit nachfolgender Reizung und Schmerzen kommen kann, wird oft die operative Naht des Innenbandes vorgezogen. Da der Rehabilitationsverlauf sowohl für die konservative als auch für die operative Therapie gleich lang ist, entschieden wir uns nach eingehender Besprechung mit Leandro Kramer für eine operative Naht des Innenbandes. Dies, um eine grösstmögliche Stabilität verbunden mit einer möglichst kurzen Rehabilitationszeit zu gewährleisten.
Auf der Innenseite des Kniegelenks wurde ein kurzer Hautschnitt gemacht (Abb. 2a). In der Tiefe waren beide während der Untersuchung festgestellten Bänderrisse zu sehen. Sowohl der Riss des Innenbandes als auch der Riss des hinteren Schrägbandes befanden sich an der Stelle, an der die Bänder am Oberschenkelknochen angewachsen sind (Abb. 2b). Die beiden Enden der gerissenen Bänder wurden mit resorbierbarem Fadenmaterial am Oberschenkelknochen angenäht (Abb. 3). Anschliessend war das Kniegelenk seitlich wieder stabil.
Nach der Operation wurde eine Knie-Schiene angepasst, um das genähte Innenband zu entlasten. Zu Beginn durfte Leandro Kramer das Knie nur teilweise, nach wenigen Tagen dann voll belasten. Sofort wurde mit Physiotherapie und Kräftigungsübungen bei gebeugtem Knie begonnen. Auf dem Veloergometer wurde mit Ausdauertraining angefangen, in der 3. Woche nach der Operation mit Jogging-Training und in der 5. Woche mit sportartspezifischen Übungen unter Schutz der Knie-Schiene. Die Integration ins Fussballtraining erfolgte 6 Wochen nach der Operation unter Schutz der Knie-Schiene; 9 Wochen nach der Operation war Leandro Kramer sportlich voll belastbar inklusive Zweikämpfen ohne Schiene.
* Name von der Redaktion geändert