Beckenbruch im Alter: Neue Möglichkeiten für mehr Lebensqualität
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Irina Meyer ist 83-jährig und vor acht Wochen gestürzt. Sie hat sich dabei einen Schambeinbruch beidseits zugezogen und kann seither nicht mehr gehen. Trotz Schmerzmittel kann sie nur noch knapp aufstehen und sich in den Lehnstuhl setzen. Vorher war sie selbständig in ihrem eigenen Heim. Jetzt steht ein Wechsel ins Pflegeheim an.
Der Hausarzt will es aber noch einmal wissen und lässt eine Computertomographie des Beckens durchführen. Diese zeigt einen nicht verheilten Kreuzbeinbruch auf beiden Seiten. Eine minimal-invasive Stabilisation wird diskutiert und schliesslich zusammen mit einer Verplattung der Schambeinastbrüche durchgeführt. In der Folge lassen die Beschwerden nach und Irina Meyer kann wieder selbständig ihrem gewohnten Tagesablauf nachgehen. Die Kontroll-Computertomographie zeigt, dass die beiden Brüche gut verheilt sind. Irina Meyer ist glücklich, dass sie weiter in ihrem eigenen Zuhause bleiben kann.
Instabile Beckenbrüche sind bei jungen Leuten häufig die Folge eines «Hochrasanz-Traumas», wie z. B. bei einem Autounfall, Motorradunfall oder Sturz aus grosser Höhe und sind potentiell lebensgefährlich. Schambeinastbrüche treten typischerweise bei älteren Leuten auf, infolge eines banalen Sturzes aus Standhöhe, wie z. B. beim Stolpern über den Teppich oder bei einem Sturz infolge einer Schwindelattacke. Mit zunehmendem Alter werden die Knochen spröder und brechen leichter (Osteoporose). Zudem wird die Sturzgefahr durch das Nachlassen der Sehkraft, der Muskelkraft wie auch der Koordinationsfähigkeit begünstigt. Handgelenksbrüche, Schenkelhalsbrüche, schulternahe Oberarmbrüche, Wirbelbrüche und Beckenbrüche sind oft die Folge. Ein solcher Bruch kann das Leben eines älteren Menschen dramatisch verändern.
Beckenbrüche kommen bei über 65-Jährigen mit einer Häufigkeit von 92 auf 100 000 Personen vor. In aller Regel handelt es sich um einfache Schambeinastbrüche (vorderer Beckenring). Diese Brüche sind zumeist stabil und können konservativ – also mit Schmerzmitteln, kurzer Bettruhe und früher Mobilisation – behandelt werden. Liegt zusätzlich ein Bruch des hinteren Beckenrings (z. B. Kreuzbein) vor, so ist der Ring an zwei Stellen unterbrochen, was einer vermehrten Instabilität entspricht. Kann der Bruch dadurch nicht optimal heilen, bleiben die Schmerzen und eine zunehmende Immobilisation bis zur vollständigen Bettlägerigkeit sind die Folge.
Beklagt der ältere Patient nach einem Sturz Schmerzen im Becken- oder Hüftbereich, wird in der Regel ein Röntgenbild des Beckens angefertigt. Darauf lässt sich ein Schambeinastbruch leicht erkennen. Wegen der komplexeren anatomischen Struktur und häufigen Überlagerungen von Darmgasen, ist ein unverschobener Bruch des Kreuzbeins viel schwieriger oder gar nicht zu diagnostizieren.
Schambeinastbrüche und nicht verschobene (und oft nicht diagnostizierte) Kreuzbeinbrüche heilen in der Regel unter konservativer Therapie ab. Bleiben aber die Schmerzen oder werden sie eher noch stärker, so empfiehlt sich, nach vier bis sechs Wochen eine Computertomographie oder ein MRI durchzuführen. Damit lässt sich ein vorher nicht diagnostizierter Kreuzbeinbruch nachweisen, der dann allenfalls einer operativen Therapie zugeführt werden kann. Mit den heutigen Methoden der minimal-invasiven bildgestützten Chirurgie, wird eine Knochenbruchstabilisation auch von älteren Menschen in der Regel sehr gut vertragen.
Unter minimal-invasiver Becken-Chirurgie versteht man die Stabilisation von Beckenbrüchen mittels Schrauben über kleine Hautschnitte. Da das Becken in einen dicken Weichteilmantel (v. a. Muskeln) eingebettet ist und wichtige Strukturen (Gefässe, Nerven, Darm, Urogenitalorgane) durch das Becken laufen, ist es entscheidend, dass diese nicht verletzt werden. Gute anatomische Kenntnisse und die Zuhilfenahme von bildgebenden Führungssystemen sind Voraussetzung für die Operation. Das einfachste bildgebende Führungssystem ist die Röntgen-Durchleuchtung.
Bei ausgeprägter Osteoporose und bei starkem Übergewicht kann die Bildqualität mit einfacher Durchleuchtung für das sichere Platzieren der Schrauben ungenügend sein. In diesem Falle wird die intraoperative Computertomographie (CT) bevorzugt, mit der man nicht nur Schattenbilder, sondern dreidimensionale Schnittbilder erzeugt. Damit kann man auch in den Knochen hineinschauen und so im Knochen verlaufende Nerven schonen. Auf diesen Schnittbildern wird der sichere Weg der Schraube durch die Weichteile und den Knochen geplant.
Computertomographie-gestützte Beckenchirurgie bedarf nicht nur spezieller Geräte, sondern auch eines eingespielten Teams von Spezialisten. Planung und Durchführung eines solchen Eingriffs erfolgten in enger Zusammenarbeit des Unfallchirurgen mit dem interventionellen Radiologen.
In der Regel wird der Patient bereits am ersten Tag nach der Operation unter physiotherapeutischer Anleitung mit Teilbelastung mobilisiert. Es erfolgt eine Röntgenkontrolle der Knochenbruchheilung nach sechs und zwölf Wochen sowie eine Computertomographie zur Beurteilung des hinteren Beckenrings nach zwölf Wochen. Mit zunehmender Knochenbruchheilung nehmen die Schmerzen ab und der Patient erreicht wieder seine gewohnte Mobilität und Selbständigkeit.