Schulterstabilisierung: Operation nach Latarjet mittels Schlüssellochchirurgie
PDF | 178.51 KB
Das Latarjet-Verfahren wurde bereits in den 50er-Jahren entwickelt. Lange Zeit waren die mit dieser Technik erzielten positiven Ergebnisse der Schulterstabilisation jedoch durch eine grosse Operationsnarbe beeinträchtigt. Seit einigen Jahren kann diese Methode nun auch mittels Schlüssellochchirurgie durchgeführt werden.
Eine Ausrenkung der Schulter, auch Luxation genannt, wird oft durch Sport- und Freizeitunfälle verursacht und ist für den Patienten eine äusserst schmerzhafte und verunsichernde Erfahrung. Trotz einer im Grunde primär korrekten, nichtoperativen Behandlung durch den betreuenden Arzt kann eine chronische Schultergelenkinstabilität häufig die Folge sein. Da diese zu Schmerzen beim Sport oder zu einer erneuten Ausrenkung führen kann, muss in diesen Fällen individuell die Möglichkeit einer operativen Stabilisierung der Schulter diskutiert werden.
Eine solche operative Versorgung und Stabilisierung der Schulter kann bereits seit Längerem minimalinvasiv in Schlüssellochtechnik mittels Kamera durchgeführt werden. Diese klassische arthroskopische Technik beruht zum einen auf einer Refixation der sogenannten Gelenklippe an der Vorderseite der Gelenkpfanne mittels Naht (Abb. 1). Zum anderen erfolgt eine Verkürzung der oftmals ausgerissenen stabilisierenden Bänder in den vorderen Schultergelenkpartien. Diese sehr zarten, bandartigen Strukturen müssen über einen längeren Zeitraum nach der Operation wieder anwachsen. Deshalb ist die Nachbehandlung oft mit einer mehrwöchigen Ruhigstellung des Arms in einer Schlinge oder einem speziellen Gurt verbunden. Erst nachdem diese Strukturen wieder verheilt sind, kann mit der anschliessenden vorsichtigen Remobilisation unter physiotherapeutischer Anleitung begonnen werden. Eine Wiederaufnahme der jeweiligen sportlichen Aktivität des Patienten ist bei diesem Operationsverfahren oftmals erst nach vier bis sechs Monaten möglich.
Abb. 1
Situation nach der Operation:
Gelenkpfanne mit Gelenklippe, die auf der rechten Seite mittels Naht und Knochenanker fixiert wurde (a) Sicht auf die Gelenkkapsel mit der Sehne des längeren Bizepsmuskels (b) und auf die vordere Rotatorenmanschette (c)
Der «klassischen» Operationsmethode steht als Alternative eine Technik gegenüber, die bereits 1954 entwickelt und nach ihrem Erstbeschreiber Michel Latarjet (Lyon, Frankreich) benannt wurde. Ziel dieser damals neuen Operationstechnik war es, die Ergebnisse für Patienten mit instabiler Schulter zu optimieren, da es bei manchen Patienten nach alleiniger klassischer Operation an den Bändern erneut zu Instabilitätsproblemen an der Schulter kam.
Im Gegensatz zur arthroskopischen Operationstechnik, bei der nur die beschädigte Gelenklippe wieder fixiert und nur weiches Gewebe wie Bänder und Gelenkkapsel für die Stabilisation verwendet wird, benutzt man bei dieser offenen, nicht minimalinvasiven Operationstechnik einen kleinen Knochenblock, den Rabenschnabelfortsatz, und zusätzlich eine Sehne zur Stabilisation. Dieser knöcherne Rabenschnabelfortsatz, auch Coracoid genannt, ist eine Struktur des Schulterblattes, die im Rahmen der sogenannten Latarjet-Operation an die vordere knöcherne Gelenkpfanne versetzt und dort mit zwei Schrauben fixiert wird (Abb. 2). Somit kann der Oberarmkopf nicht mehr vorne aus der Gelenkpfanne herausrutschen; die Schulter ist stabil. Da der versetzte Knochenblock nach der Operation bereits vom ersten Tag an stabil ist, darf die Schulter sehr schnell wieder bewegt und belastet werden. Jüngere und ästhetisch anspruchsvolle Patienten scheuten jedoch die sichtbare Narbe als Folge der offenen Latarjet-Operation und entschieden sich trotz teils hoher, zum Beispiel sportiver Anforderungen an die Schulter für die minimalinvasive, arthroskopische Technik. Diese Patienten nahmen aus kosmetischen Gründen ein schlechteres Ergebnis hinsichtlich Stabilität und eine merklich langwierigere Rehabilitation in Kauf.
Durch die konsequente Weiterentwicklung der arthroskopischen Techniken an der Schulter ist es seit 2008 möglich, auch die Latarjet-Technik minimalinvasiv und arthroskopisch mit der Kamera durchzuführen. Damit sind die Ergebnisse dieser Methode unter kosmetischen Gesichtspunkten mit denen der «klassischen» Operation absolut vergleichbar, sie erzielen aber bessere Resultate hinsichtlich Stabilität und kürzerer Rehabilitation.
Nach der Operation darf der Patient seinen Arm sofort wieder bewegen – eine Immobilisation entfällt vollständig. Der Gebrauch des Arms für die alltäglichen Verrichtungen ist sehr zügig wieder möglich, und dank der raschen Wiedererlangung der Beweglichkeit ist der zu erwartende Arbeitsausfall nach der Operation signifikant kürzer. Auch die Aufnahme der sportlichen Tätigkeiten ist in vielen Fällen bereits nach einigen Wochen möglich. Die Wahrscheinlichkeit, mittel- bis langfristig nach erfolgreicher Latarjet-Operation erneut unter einer Schultergelenkinstabilität zu leiden, liegt bei circa zwei bis drei Prozent. Nach alleiniger Bandnaht – wie bei der «klassischen» Operationstechnik – beträgt die Wahrscheinlichkeit gemäss aktuellen Studien zwischen 15 und 20 Prozent.1
Die Entscheidung für eine Operation oder eine konservative Behandlung verlangt trotz allen chirurgischen Fortschritten auch heute noch eine seriöse Abklärung. Die Indikation muss abhängig von Alter, Aktivitätsgrad und Anspruch des Patienten sowie der Art des Schadens in der Schulter gestellt werden.
1 Cooke S. et al.: Clinical results and motion analysis following arthroscopic anterior stabilization of the shoulder using bioknotless anchors. Int J Shoulder Surg. 2010 Apr; 4 (2): 36–40.