Lungenkrebs: Operabel, trotz Befall der zentralen Luftwege und Gefässe?
PDF | 2.63 MB
Moderne Operationstechniken ermöglichen es, selbst in die Luftröhre, Bronchien oder Lungenvene und -arterie eingewachsene Lungentumoren zu entfernen. Oberstes Ziel des Eingriffs ist es, den Tumor komplett herauszunehmen und gleichzeitig möglichst viel Lungengewebe zu erhalten.
Die Früherkennung des Lungenkrebses wäre eigentlich der wichtigste Beitrag zur Erhöhung der Heilungschancen dieser Krebsart, aber das dafür notwendige CT-Screening der Risikogruppen – allen voran der Raucher, der Passivraucher und die asbestexponierten Personen – hat sich bisher noch nicht durchgesetzt. Dies nicht zuletzt auch wegen fehlender Finanzierung durch die Krankenkassen (siehe hierzu auch den Mittelpunkt-Artikel in 2 / 2011). Daher kommt es immer wieder vor, dass der Krebs bei der Diagnosestellung schon so weit fortgeschritten ist, dass eine radikale Operation und damit die Heilung der Krankheit unmöglich ist.
Fortschritte in der Operationstechnik einerseits und interdisziplinäre Therapiekonzepte, mit der Möglichkeit der Tumorverkleinerung durch Chemo- oder Strahlentherapie anderseits, bringen neue Hoffnung für die Betroffenen. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei allen Zusatzabklärungen keine Hinweise für Metastasen in anderen Körperorganen gefunden werden.
Die Lunge verfügt nicht über die Fähigkeit, sich nach einem operativen Eingriff mit Teilentfernung zu regenerieren und wieder zur ursprünglichen Grösse anzuwachsen. Dies bedeutet, dass das Ausmass der Verkleinerung der Lunge durch einen Eingriff die spätere Leistungsfähigkeit des Patienten und damit seine Lebensqualität direkt beeinflusst. Sind die zentralen Gefässe oder die Luftwege, die Luftröhre und die oberen Bronchien befallen, stellt sich sofort die Frage, ob für eine Heilung des Krebses der ganze Lungenflügel der betroffenen Seite entfernt werden muss. Dies führt häufig zu einer massiven Einschränkung und oft zu einer lebenslangen Sauerstoffabhängigkeit des Betroffenen.
Die meisten Lungenkrebspatienten verfügen aufgrund des langjährigen Rauchens bereits über eine reduzierte Lungenfunktion. Messungen zeigen oftmals eine über 50%ige Einschränkung, weshalb es bei einer Operation ein wichtiges Ziel ist, möglichst viel Lungengewebe zu erhalten.
Das Ziel einer radikalen Operation ist es, den Tumor mit einem genügenden Sicherheitsabstand aus dem gesunden Gewebe herauszunehmen. Dabei ist jeder Millimeter entscheidend. Mit Hilfe moderner Operationstechniken und / oder einer interdisziplinär abgestimmten Vorbehandlung lassen sich die Ziele der radikalen Operation und eines gleichzeitigen Erhalts von möglichst viel Lungengewebe vereinen.
Zeigen die Ergebnisse der Lungenspiegelung und des Computertomogramms bei einem lungenfunktionell bereits stark eingeschränkten Patienten beispielsweise einen Tumor, der zentral an der Aufteilung der Luftwege und der grossen Blutgefässe liegt und diese Strukturen bereits infiltriert hat, gilt es zu entscheiden, auf welche Art der Tumor entfernt werden soll, um die erwähnten Ziele zu erreichen.
Handelt es sich um einen relativ kleinen Tumor, kann dieser mit der sogenannten Sleeve-Resektion direkt entfernt werden (Abb. 3). Bei dieser aufwändigen Operation wird der erkrankte Lappen der Lunge mit dem Hauptbronchus und den Hauptblutgefässen entfernt. Anschliessend werden die verbliebenen tumorfreien Lappen an den Rest des Hauptbronchus und die Hauptgefässstümpfe wieder angeschlossen. Bei solch einem Vorgehen bleiben bis zu 60% des Lungenflügels erhalten, sodass der Patient weiterhin relativ uneingeschränkt seiner Alltagsbeschäftigung oder im besten Fall gar einer sportlichen Aktivität nachgehen kann. Bei einer kompletten Lungenflügelentfernung wäre dies nicht mehr oder nur in deutlich reduziertem Umfang möglich.
Diese Technik wird zunehmend auch bei grösseren Tumoren angewandt. Allerdings erfolgt in diesem Fall zuerst eine Strahlen- und Chemotherapie, mit dem Ziel, den Tumor vor dem Eingriff zu verkleinern, damit diese Operationstechnik zur Anwendung kommen kann.
Trotz einer derartigen Vorbehandlung bietet manchmal die Totalentfernung des Lungenflügels die einzige Chance, den Krebs zu besiegen. Dank technischem Fortschritt ist es heutzutage möglich, selbst einen von der Lunge ausgehenden, in Richtung des linken Vorhofs des Herzens eingewachsenen Tumor zu operieren. Es können in diesem Fall bis zu 40% des Vorhofs mitentfernt werden, ohne dass der Betroffene später eine Einschränkung der Herzfunktion erleidet. Diese äusserst komplexen Eingriffe werden in enger Zusammenarbeit mit Herzchirurgen geplant und durchgeführt. Vielfach ist bei solch einem Eingriff die Wiedervereinigung aller zentralen Gefässstrukturen (Luftröhre, Lungenschlagader und Lungenvene mit dem linken Vorhof) notwendig.
Die einzige Heilungschance des Lungenkrebses besteht in der radikalen Entfernung des Tumors. Gelingt dies dank Schrumpfung des Tumors vor der Operation oder durch die alleinige Operation, zeigen auch örtlich fortgeschrittene Lungenkrebse eine gut 50%ige Chance für eine 5-Jahres-Heilung. Diese Ergebnisse sind heute dank neuster Operationstechniken auch bei einem örtlich fortgeschrittenen Tumorwachstum erreichbar und statistisch belegt.
Die chirurgische Entwicklung ermöglicht immer kompliziertere Eingriffe. Steht sie damit den Anforderungen eines kostengünstigen Gesundheitswesens nicht diametral entgegen?
Nein, im Gegenteil. Ich würde sogar sagen, dass eine Teilentfernung der Lunge mit einer möglichen Rekonstruktion der Gefässe nicht teurer ist als eine komplette Entfernung des Lungenflügels. Ein gelungener Eingriff gibt aber dem Patienten eine Überlebensperspektive und bei Erhalt von möglichst viel Lungengewebe auch Lebensqualität. Wird der Lungenflügel dagegen komplett entfernt oder kann der Erkrankte nur noch mit einer Chemotherapie behandelt werden, drohen hohe Rehabilitations- und Medikamentenkosten und es bleiben dem Patienten oft nur wenige Lebensjahre oder -monate mit stark eingeschränkter Lebensqualität. Das kann nicht das Ziel einer Behandlung mit guter Kosten-Nutzen-Relation sein.
Wo sind die Grenzen für einen erfolgreichen operativen Eingriff?
Wenn die Funktion der Lungen – meist durch langjähriges Rauchen – schon vor der Operation stark eingeschränkt ist, kann es sein, dass auf eine Operation verzichtet werden muss. Wenn Metastasen im Körper gefunden werden, ist die Operation nicht sinnvoll, weil die Krankheit dann unheilbar ist. Ich stelle aber auch fest, dass Lungentumoren zu rasch als inoperabel bezeichnet werden, wenn z. B. die grossen Gefässe, also Lungenvene, Arterie oder die Hauptluftwege, vom Tumor befallen sind. Für die Klärung der technisch-operativen Möglichkeiten solcher Befunde rate ich, immer eine Beurteilung bei einem Thoraxchirurgen einzuholen. Diese Fälle sollten zwingend auch in einem interdisziplinären Tumorboard besprochen werden.
Wissen Sie vor der Operation genau, was Sie erwartet?
Dank der heutigen Bildgebung vor der Operation wissen wir in der Regel sehr gut, was uns erwartet. Entstehen dennoch Unklarheiten während des Eingriffes, z. B., ob sich der Schnittrand des Tumors im gesunden Gewebe befindet, können wir auf der Basis von Gewebeuntersuchungen, sogenannten Schnellschnittverfahren, die durch den hausinternen Pathologen während der Operation ausgeführt werden, innerhalb von 10 bis 15 Minuten zuverlässig entscheiden, was sinnvoll und machbar ist.
In welchen Fällen wird eine Lungentransplantation durchgeführt?
Im Fall von Lungenkrebs nie. Denn dieser lässt sich nicht «wegtransplantieren»! Die Rückfallgefahr ist aufgrund der notwendigen, die Abwehr schwächenden Medikamente sehr hoch, deshalb erfolgt bei Lungenkrebs keine Transplantation. Zudem hat die Lungentransplantation wegen der im Vergleich zu anderen Organen starken immunologischen Abstossungsreaktion bisher kaum Langzeiterfolge gezeitigt.
Sie sind ein Verfechter des präventiven Lungenscreenings. Wem empfehlen Sie dieses zur Krebsvorsorge?
Ich empfehle, was wissenschaftlich dokumentiert ist: Patienten zwischen 55 und 75 Jahren, die starke Raucher sind oder waren, profitieren eindeutig von einem CT-Lungenscreening. In einer gross angelegten Studie konnte gezeigt werden, dass die Sterblichkeit dieser Risikogruppe durch Screening um 20% gesenkt werden konnte. Darüber hinaus würde ich, abgeleitet aus der Studie, sagen, dass jeder, der über 30 Jahre mindestens einen Pack Zigaretten pro Tag geraucht hat, ein 25- bis 30-mal höheres Lungenkrebs-Risiko hat als ein Nichtraucher. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2025 in der Schweiz zirka 400 000 Personen an den Folgen des Rauchens versterben werden. Daher setzen wir uns zusammen mit Hirslanden und dem LungenZentrum für ein präventives Screening ein und haben hierfür eine eigene Stiftung gegründet (www.lungendiagnostik.ch).
Das Screening hat aber auch viele Gegner.
Ja, das ist so. Die Gegner argumentieren, dass Kosten anfallen und Angst geschürt werde, weil in etwa 40% der CT Lungenveränderungen gesehen oder zusätzlich an anderen Organen Befunde entdeckt werden. Dies führt zu weiteren Abklärungen und Folgekosten. Es ist deshalb wichtig und für ein gutes Screeningprogramm Bedingung, dass der Befund nur durch Experten erhoben wird. Dafür braucht es spezialisierte Zentren und Radiologen sowie klare, einheitliche Screeningregeln. Wissenschaftlich anerkannte Screeningprogramme erfüllen auch die Bedingung, dass derjenige, der den Befund erhebt, nicht zugleich möglicher behandelnder Arzt oder Operateur ist, das heisst, es braucht zwei verschiedene Personen oder Institute, um «falsche» Anreize in der Behandlungskette auszuschliessen.
Was, glauben Sie, wird mit einem präventiven Screening gewonnen?
Heutzutage sind 75% der Lungentumoren bei der Diagnose inoperabel, weil sie zu spät entdeckt werden. Wir haben die berechtigte Hoffnung, dass wir die Quote der operablen Tumoren von heute höchstens 25% auf über 40% verbessern können. Langfristig dürfte noch mehr möglich sein, davon bin ich überzeugt.
Besten Dank für das Gespräch.