Patientenzeitschrift "Mittelpunkt"

Viele degenerative und chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Arthrose oder Fersensporn lassen sich mit einer ambulanten Strahlentherapie wirksam behandeln. Die Dabei verwendeten Strahlendosen sind bedeutend niedriger als bei der Bestrahlung von Krebserkrankungen, sodass es zu keinen Schäden am bestrahlten Gewebe kommt. Zur Anwendung gelangt die Strahlentherapie häufig dann, wenn der Leidensdruck des Patienten hoch ist und der andere Behandlungsformen erschöpft sind.

«Gerne möchte ich Frau H. für eine Strahlentherapie bei schwerer Arthrose im linken Knie anmelden. Der Befund ist an sich operationswürdig, die 87-jährige Patientin möchte aber eine solche vermeiden. Schmerzmittel und Physiotherapie haben in letzter Zeit nicht mehr geholfen.» So schrieb am 12. Januar 2015 der Hausarzt von Frau H. Nach dem Informationsgespräch entschied sich die Patientin für eine niedrig dosierte Bestrahlung des Kniegelenks, was problemlos ambulant durchgeführt werden konnte.

Strahlentherapie: Nicht nur bei Krebs

Die Strahlentherapie, auch Radiotherapie genannt, wird oft in den Zusammenhang mit einem Krebsleiden gebracht. Dies trifft auch zu: Bei rund der Hälfte der Krebspatienten wird sie mit guten Ergebnissen eingesetzt. Die Bestrahlung kann aber auch bei gutartigen Erkrankungen die Lebensqualität verbessern. Historisch gesehen waren es vor allem degenerative Erkrankungen wie beispielsweise aus dem rheumatischen Formenkreis und gutartige Hautveränderungen, die zuerst mit den 1895 entdeckten Röntgenstrahlen behandelt wurden. Der Einsatzbereich von Röntgenstrahlen war damals breit, auch weil für viele solche Diagnosen keine effizienten Therapiemöglichkeiten bekannt waren. Der Fortschritt auf anderen medizinischen Gebieten sowie die Entwicklung neuer Medikamente schränkten mit der Zeit die Anwendung der Radiotherapie ein. Beigetragen hat dazu auch die Erkenntnis, dass Röntgenstrahlen die Entstehung von bösartigen Tumoren provozieren können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Ist die Bestrahlung für Frau H. eine gute Option? Um sie zu beantworten, sind die Risiken und der Nutzen einer Strahlentherapie sorgfältig gegeneinander abzuwägen.

Überschaubares Risiko, hohe Wirksamkeit

Das Risiko einer Krebsauslösung besteht tatsächlich. Mit einer Häufigkeit von 0,1% bis 1% ist es aber sehr klein. Dazu kommt, dass es auf das bestrahlte Gebiet beschränkt ist. So ist beispielsweise bei einer Kniebestrahlung keine Erzeugung von Krebs im Bauch-, Lungen- oder Kopfbereich zu befürchten. Ausserdem – und das gilt es vor allem bei älteren Patienten zu bedenken – würde es mindestens 10 bis 15 Jahre dauern, bis im bestrahlten Gebiet ein Tumor entstünde. Dieses überschaubare Risiko ist den möglichen Nebenwirkungen einer langjährigen Behandlung mit Schmerzmitteln gegenüberzustellen, etwa einer Schädigung der Leber. Vor allem aber ist es ins Verhältnis zu setzen zum grossen, mitunter kaum noch erträglichen Leidensdruck, den eine Strahlentherapie oft vermindern oder sogar beseitigen kann. Das gilt erst recht für Patienten wie Frau H., bei denen einfachere Mittel nicht mehr helfen. Die Bestrahlung von Arthrosen der Finger, der Schulter, des Knies oder der Hüfte führt nach wenigen Sitzungen bei 60% bis 80% der Patienten zur Schmerzlinderung oder sogar Schmerzfreiheit. Da nur sehr kleine, fast «homöopathische» Dosen zur Anwendung kommen, sind keine Schäden am bestrahlten Gewebe zu befürchten.

Aktivierung der körpereigenen Entzündungs-bekämpfung

Als einzige Nebenwirkung der Strahlentherapie kann sich vorübergehend eine Schmerzzunahme einstellen. Dies darf jedoch als gutes Zeichen gewertet werden, weil darauf meistens eine Linderung folgt. Dieses Phänomen und somit auch die Wirksamkeit der Bestrahlung lassen sich durch eine lokale «Umstimulation» erklären: Arthroseschmerzen sind die Folge einer chronischen Entzündung, an die sich der Körper mit der Zeit «gewöhnt» und die er in der Folge nicht mehr bekämpft. Die niedrig dosierten Strahlen lösen einen Reiz aus und bewirken, dass sich die Entzündung verstärkt. Als Konsequenz werden auch die Schmerzen vorübergehend stärker, und der Körper beginnt, die Entzündung wieder zu bekämpfen. Dank dieser Aktivierung der körpereigenen Entzündungsbekämpfung kommt es bei einem grossen Teil der Patienten zu einer Schmerzlinderung.

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Abb. 1a
Patientenbeispiel: chronisches Handekzem bei einer 67-jährigen Patientin vor der Radiotherapie*
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Abb. 1b
Dasselbe Patientenbeispiel 8 Monate nach der Radiotherapie

Hohe Sicherheitsstandards

Die niedrig dosierte Strahlentherapie gutartiger Erkrankungen ist eine lokale, nicht-invasive und schmerzfreie Behandlungsmethode mit hohen Sicherheitsstandards und regelmässigen Qualitätskontrollen. Die modernen Geräte ermöglichen eine präzise Anwendung, die das umliegende Gewebe bestmöglich schont. Gutartige Erkrankungen werden seit mehr als 100 Jahren bestrahlt; in Deutschland, einem führenden Land auf diesem Gebiet, sind es aktuell mehr als 50 000 Patienten pro Jahr, Tendenz steigend. – Frau H. bereut ihren Entscheid für die Strahlentherapie nicht. Sie erfuhr eine deutliche Schmerzlinderung und konnte die ohnehin kaum mehr wirksamen Schmerzmittel absetzen. Seit die Schmerzen sie viel weniger einschränken, traut sie sich auch wieder aus dem Haus. Eine einfache Massnahme führte zu einem hohen Gewinn an Lebensqualität.

Auswahl von gutartigen Erkrankungen, bei denen die Radiotherapie helfen kann:

  • Arthrose (Finger, Schulter, Knie, Hüfte)
  • Tennisellbogen
  • Fersensporn
  • Schmerzen beim Ansatz der Achillessehne
  • Morbus Dupuytren, Morbus Ledderhose (Erkrankungen der Sehnenscheiden an Handfläche bzw. Fusssohle)
  • Hautkrankheiten wie chronische Ekzeme oder Psoriasis (Schuppenflechte) – siehe Abb. 1a/b
  • Keloide (überschiessende Narbenbildung) und ungewollte Verknöcherungen – beides nach Operationen
  • Seltene Augenkrankheiten (z.B. Graves-Orbitopathie)
  • Gutartige Hirntumore (z.B. Meningeome) oder Neuralgien (Nervenschmerzen) – höhere Strahlendosen notwendig

* Quelle: Sumila M et al. Long-term results of radiotherapy in patients with chronic palmo-plantar eczema or psoriasis. Strahlenther Onkol. 2008 Apr;184(4):218-23.