Auf den ersten Blick haben der Hallux Valgus und die Arthrose des Sprunggelenks nicht viel gemeinsam. In der Tat sind Ursachen und therapeutische Herangehensweisen sehr unterschiedlich. Beide zählen sie jedoch zu den häufigsten Krankheitsbildern in der Fuss- und Sprunggelenkchirurgie. Zudem lassen sich anhand von ihnen sowohl die Vielfalt der konservativen Behandlungen als auch die Prinzipien der operativen Therapien anschaulich beleuchten.
Hallux valgus
Der Hallux valgus ist durch eine Achsenfehlstellung der Grosszehe (lat. Hallux) gekennzeichnet. Das Wort valgus («schief») beschreibt dabei die Fehlstellung weg von der Körpermitte. Zu den Gründen für die Entwicklung dieser Erkrankung herrscht keine Einigkeit. Man geht von vielen verschiedenen Faktoren aus, die eine solche Fehlstellung hervorrufen und dazu führen, dass der erste Mittelfussknochen in Richtung Fussinnenseite wandert.
Sehr häufig scheint eine genetische Ursache vorzuliegen; bis zu 90 % der Patientinnen und Patienten berichten, dass ein Hallux valgus in der Familie bereits aufgetreten sei, oft mütterlicherseits. Entsprechend kann dieses Krankheitsbild schon bei Jugendlichen vorkommen. Eine falsche Schuhauswahl kann die Entstehung eines Hallux valgus begünstigen, sie muss es aber nicht. Weitere Ursachen, die teilweise kontrovers diskutiert werden, sind der Knick-/ Senkfuss und eine Instabilität im ersten Mittelfussgelenk. Seltener tritt ein Hallux valgus als Unfallfolge auf. Insgesamt sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer (Verhältnis von 8:1).
Bei einem Hallux valgus werden die Muskeln und ihre Sehnen, die die Grosszehe und das Gelenk eigentlich stabilisieren, durch die Achsenabweichung zunehmend zur deformierenden Kraft. Die Gelenkkapsel auf der Innenseite wird zusätzlich geschwächt und begünstigt das Fortschreiten der Fehlstellung. Das wiederum bedeutet, dass der Hallux valgus mit der Zeit zunimmt.
Beschwerdebild
Nicht immer verursacht ein Hallux valgus Beschwerden, und das Ausmass der Schmerzen korreliert nicht mit dem Schweregrad der Fehlstellung. Oft treten Symptome auch nur während des Tragens von Schuhen auf. Die typischen Beschwerden machen sich dann im Bereich der «Spitze» der Fehlstellung bemerkbar: beim Knochen, der am weitesten von der Körpermitte absteht, was dem Köpfchen des ersten Mittelfussknochens entspricht (vgl. Abb. 1).
Wissenswert ist zudem, dass die Schmerzen nicht immer nur durch den prominenten Knochen selbst auftreten, sondern auch eine Folgeerscheinung sein können der veränderten Belastung und Belastbarkeit des Fusses. So kann eine durch die Fehlstellung resultierende Überlastung der benachbarten Mittelfussknochen zu starken Schmerzen in diesem Bereich führen. Ein Hallux valgus begünstigt zudem eine Fehlstellung der Kleinzehen, in erster Linie die Entstehung von sog. Hammerzehen, womit eine dauerhafte Beugefehlstellung einer oder mehrerer Kleinzehen bezeichnet wird.
Behandlung
Für uns Spezialisten gibt es viele zu beurteilende Kriterien und Faktoren, weswegen das Gespräch mit den Betroffenen genauso wichtig ist wie die sorgfältige klinische Untersuchung und die Analyse von Röntgenbildern. Diese liefert in aller Regel ausreichend Informationen, um eine optimale Therapie einzuleiten.
Bei einem symptomatischen Hallux valgus ist die Therapie zunächst fast immer konservativ. Sie beinhaltet eine adäquate Schuhauswahl und oft auch massangefertigte orthopädische Einlagen; auch die Physiotherapie kann helfen. Festzuhalten ist jedoch, dass keine konservative Therapie die eigentliche Fehlstellung zu korrigieren vermag. Ob scheinbar magische Tricks, die in Internetvideos als Heilungsversprechen präsentiert werden, oder diverse Schienen – keine Studie konnte je nachweisen, dass solche Methoden einen Hallux valgus heilen können. Sie sind in aller Regel Zeit- und Geldverschwendung.
Führen konservative Massnahmen zu keiner Verbesserung der Beschwerden, kommt die chirurgische Therapie ins Spiel. Hierfür gibt es verschiedene konventionelle, offene Verfahren, die nachgewiesenermassen sicher und wirkungsvoll sind. Mittlerweile erweisen sich aber auch perkutane («durch die Haut hindurch») und minimalinvasive Techniken als erfolgversprechend und zeigen in den Studien sehr gute Ergebnisse.
Das Ziel einer chirurgischen Behandlung besteht darin, die Fehlstellung des Mittelfussknochens und des Zehenknochens zu korrigieren und die normale Anatomie wiederherzustellen. Dazu werden die betroffenen Knochen durchtrennt, neu gerichtet und mit kleinen Schrauben in der korrigierten Stellung fixiert (vgl. Abb. 1). In der Regel erfolgt gleichzeitig eine Korrektur der durch die Fehlstellung gedehnten Gelenkkapsel und der Hammerzehen.
Welche konkrete Operationstechnik dabei zur Anwendung kommt, ist weniger wichtig als die sorgfältige Analyse, Planung und Durchführung der Operation, denn mit vielen dieser Techniken lassen sich zufriedenstellende bis ausgezeichnete Resultate erzielen.
Sprunggelenksarthrose
Die Ursachen für die Entstehung einer Arthrose des Sprunggelenks, d. h. eines Verschleisses seiner Knorpelschicht, sind weitaus klarer als bei einem Hallux valgus: 70 bis 80 % der Sprunggelenksarthrosen sind die Spätfolge einer Verletzung, d.h. sie entwickeln sich über längere Zeit nach einem Knochenbruch oder einem Bänderriss. Grund dafür ist meist eine Gelenkinstabilität, die als Folge der Verletzung zu einem schnelleren Knorpelverschleiss führt. Weitere Risikofaktoren sind angeborene oder erworbene Fehlstellungen des Fusses.
Die Schmerzen und funktionellen Einschränkungen einer Sprunggelenksarthrose können sehr stark ausgeprägt sein und einen hohen Leidensdruck hervorrufen. Die gute Nachricht ist, dass es zahlreiche Therapieoptionen gibt, um solche Beschwerden zu lindern. Von Schienen und Orthesen (z. B. Knöchelmanschetten) über Schuheinlagen bis hin zu orthopädischen Serienschuhen stehen viele Hilfsmittel zur Verfügung, dank denen sich der Leidensdruck oft deutlich senken lässt. Auch gibt es mehrere Optionen, mittels Injektionen in das Gelenk eine Linderung zu erreichen. Sie können mit Kortison erfolgen, mit Hyaluronsäure oder autologem konditioniertem Plasma (ACP, «Eigenbluttherapie»). Jede dieser Optionen hat ihre Berechtigung und ihre je eigenen Vor- und Nachteile.
Wie bei fast jedem Krankheitsbild müssen operative Optionen dann in Erwägung gezogen werden, wenn alle konservativen Massnahmen nicht mehr helfen und die Schmerzen und Einschränkungen die Lebensqualität zu stark beeinträchtigen. Bei eher jüngeren Patientinnen und Patienten sind gegebenenfalls gelenkerhaltende Massnahmen möglich, z.B. eine Knorpeltherapie bei einem abgrenzbarem Knorpelschaden oder Achsenkorrekturen bei entsprechenden Fehlstellungen.
Lässt sich das Gelenk aufgrund eines zu weit fortgeschrittenen Verschleisses nicht erhalten, kann es mit Schrauben und gegebenenfalls Metallplatten versteift werden (Arthrodese). Dieses Verfahren hört sich erstmal uncharmant an, es ist jedoch eine bis heute sehr zuverlässige und sichere Option, um die Schmerzen zu lindern. Mehr noch: Nach ausreichender Rehabilitation ist ein normales Gangbild wieder möglich, und sehr viele Aktivitäten lassen sich problemlos wieder aufnehmen.
Die Alternative ist der künstliche Gelenkersatz, die Totalprothese des oberen Sprunggelenks (vgl. Abb. 2). Welche Methode besser ist, ist das unter Experten wohl am häufigsten und heissesten diskutierte Thema. Das künstliche Sprunggelenk hat in den letzten Jahren zunehmend an Stellenwert gewonnen und weist bei der richtigen Indikation mindestens genauso gute Ergebnisse auf wie die Versteifung.
Die Nachbehandlung bei einer Prothese ist zudem unkomplizierter: Man darf früher wieder voll belasten und muss weniger lang schonen und ruhigstellen. Ausserdem zeigen sich in grossen (noch laufenden) Studien aufgrund der erhaltenen Beweglichkeit Vorteile im Gangbild. Ferner geht man davon aus, dass die angrenzenden Gelenke geschont werden, während sie nach einer Arthrodese im Verlauf der Jahre eher zu Verschleiss neigen und Beschwerden bereiten können. Beide Therapieoptionen sind jedoch sicher und bringen eine deutliche bis vollkommene Schmerzlinderung.
«Es ist eine komplexe Disziplin»
Herr Dr. Lenz, in den letzten Jahren hat die Fuss- und Sprunggelenkchirurgie stark an Bedeutung gewonnen - dies, nachdem der Fuss von der Medizin lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Welches waren die wichtigsten Fortschritte?
Die Zahl der Studien zur Fuss- und Sprunggelenkchirurgie hat in den letzten 10 bis 15 Jahren enorm zugenommen. Sie brachten neue Erkenntnisse zur konservativen und zur operativen Therapie, zur Nachbehandlung nach Operationen und auch zu den Implantaten, die wir verwenden. Besonders hervorzuheben sind die Fortschritte in der minimalinvasiven Fusschirurgie, die zunehmend sehr guten Ergebnisse des künstlichen Sprunggelenkersatzes, aber auch moderne Implantate, die eine schnellere Rehabilitation und robustere Rekonstruktionen ermöglichen
Wo liegen die besonderen Herausforderungen in der Fusschirurgie?
Wir beschäftigen uns mit 28 Knochen, die über zahlreiche Gelenke und Bänder miteinander verbunden sind. Jeder Schritt ist ein sensibles Zusammenspiel zwischen der Muskel-Sehnen-Einheit und dem Skelett. Der Fuss wird mit grosser Selbstverständlichkeit auf viele Arten beansprucht, vom normalen Gehen über Rennen und Springen bis zum Tanzen. Wie wichtig der Fuss und das Sprunggelenk sind, merkt man erst, wenn etwas nicht mehr gut funktioniert oder schmerzt. Hier liegt denn auch die Herausforderung: in der Analyse des Problems, im Verstehen der Zusammenhänge und der Ursachen, um die richtige Therapie einzuleiten. In den Operationen werden oft verschiedene Weichteil- und Knocheneingriffe kombiniert. Hier besteht die Herausforderung darin, die richtigen Teileingriffe für ein optimales Resultat miteinander zu verknüpfen.
Welche Missverständnisse gegenüber der Fusschirurgie müssen Sie häufig ausräumen?
Ich werde oft gefragt, ob denn eine Operation überhaupt etwas bringe, und es kursieren viele Anekdoten über schlechte Resultate und Komplikationen. Ich versichere meinen Patientinnen und Patienten, dass alle Therapien, die ich durchführe, nachgewiesenermassen erfolgreich sind und es selten Komplikationen gibt. Das heisst, die Wahrscheinlichkeit, dass die Patientin oder der Patient nach der Heilungszeit zufrieden ist, ist sehr hoch. Früher hat man die Fusschirurgie oft so nebenbei mitgemacht. Das ist heute nicht mehr vertretbar. Es ist eine komplexe Disziplin. Für eine optimale Therapie empfiehlt es sich deshalb, einen Spezialisten oder eine Spezialistin aufzusuchen.
Ist es problematisch, eine Fussoperation aufzuschieben?
Es gibt Deformitäten, die fortschreiten, sodass man bei einer letztlich dann schweren Deformität eventuell andere OP-Techniken wählen muss, die ein paar Nachteile mit sich bringen können oder grössere Operationen darstellen. Jedoch verläuft dieses Fortschreiten über Jahre bis Jahrzehnte hinweg. Deswegen muss man sich nicht verrückt machen. Eine initiale Beurteilung ergibt sicher Sinn. Ich habe Patientinnen und Patienten mit Deformitäten, die noch gut ohne OP auskommen. In solchen Fällen vereinbaren wir z. B. halbjährliche Kontrollen, sodass es kein «zu spät» gibt. Akute Verletzungen, vor allem Brüche oder Bandverletzungen, die zur Instabilität führen, sollten hingegen so früh wie möglich behandelt werden.
Heute gibt es praktisch für jedes Fussproblem mehrere Operationstechniken. Wie kann ich als Patientin oder Patient die Gewissheit haben, dass ich die Richtige erhalte?
Für mich ist es sehr wichtig, dass die Patientinnen und Patienten ihr Fussproblem gut verstehen und die diversen Therapieoptionen nachvollziehen können. Diese Aufklärung ist meine Aufgabe. Oft gibt es nicht die eine richtige Therapie. Vielmehr gilt es, für jeden individuellen Fall die optimale Behandlung zu finden. Das setzt voraus, dass die Symptomatik sorgfältig analysiert und das Hauptproblem identifiziert wird. Ebenso wichtig ist es, gemeinsam ein Behandlungsziel zu definieren, und zwar auf Basis der Erwartungen und Ansprüche der Patientin oder des Patienten. Mit welcher Therapie können wir dieses Ziel am besten erreichen? Das ist ein Prozess, der viel Kompetenz, Sorgfalt und Vertrauen erfordert. Ich möchte, dass meine Patientinnen und Patienten und ich ein Team sind und am selben Strang ziehen.
Wie lange dauert der Heilungsprozess nach einer Fussoperation, und wie gestaltet sich die Rehabilitation?
Viele versprechen, dass alles ganz schnell gehe. Das ist leider nicht die Realität, wobei es natürlich auch auf die Art des Eingriffs ankommt. Bei einer Vorfusskorrektur, z. B. bei einem Hallux valgus, ist die Nachbehandlung an sich unkompliziert. Man darf in einem Spezialschuh voll belasten. Dennoch reagiert der Fuss schnell und schwillt an. Man muss ihn viel hochlagern und kann nicht lange auf den Beinen sein. Dies bessert sich zwar stetig, und man kann in gewissem Ausmass auch aktiv sein, aber man muss mit drei bis sechs Monaten rechnen, bis man wieder lange und ohne Beschwerden auf den Beinen sein kann. Manchmal ist eine Ruhigstellung im Gips notwendig und man darf nur teilbelasten. Oft benötigt man dann einen physiotherapeutischen Aufbau. Wichtig ist, dass man dies vorher bespricht und zusammen einen Zeitplan mit realistischen Zielen erstellt. Ich begleite meine Patientinnen und Patienten während der Rehabilitation, damit sie diese gut meistern.
Wie kann man Erkrankungen und Verletzungen des Fusses vorbeugen?
Wichtig sind eine gesunde Ernährung, regelmässige körperliche Betätigung und die Vermeidung von Übergewicht. Spezifisch für den Fuss ist eine adäquate Schuhauswahl hilfreich. Zur Vermeidung von Sportverletzungen ist ein neuromuskuläres Aufwärmprogramm sinnvoll, ebenso eine korrekte Ausrüstung und die Vermeidung von Überlastungen. Je nachdem sind für eine längere Zeit Schutzmassnahmen angezeigt wie eine stabilisierende Bandage nach einem Bänderriss am Sprunggelenk. Generell sind Empfehlungen und Massnahmen sehr individuell und variantenreich und können mit einer Spezialistin oder einem Spezialisten diskutiert werden.
Montag - Freitag
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Autor
Glossar
- Arthrose: verschleissbedingter Abbau von Gelenkknorpel, häufig aufgrund jahrelanger Überbelastung, als Alterserscheinung oder oft nach stattgehabtem Knochenbruch
- Hyaluronsäure: vom Körper selbst produzierter Bestandteil von Bindegewebe, der viel Wasser bindet und in Gelenken als Schmiermittel wirkt
- Knorpeltherapie: Oberbegriff für Verfahren, mit denen Knorpel regeneriert wird
Leiterin Marketing & Kommunikation
Klinik Hirslanden