Frische Knochenbrüche bei Gelenkprothese – chirurgisch anspruchsvoll und immer häufiger
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Die Versorgung von Knochenbrüchen in unmittelbarer Nähe oder sogar unter Einbezug eines künstlichen Gelenks gehört zu den anspruchsvollsten Operationen der Unfallchirurgie. Aufgrund der demographischen Entwicklung kommen solche Brüche jedoch immer häufiger vor. Oberstes Ziel der chirurgischen Behandlung ist es, den Patienten ihre Mobilität zurückzugeben.
Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 25 000 neue künstliche Hüftgelenke und 15 000 neue Kniegelenke operativ eingesetzt. Das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten beträgt derzeit etwa 75 Jahre. Unter ihnen haben über 80 Prozent eine Osteopenie (Minderung der Knochendichte) und über 50 Prozent eine Osteoporose (Mangel an Knochensubstanz). Dazu kommt, dass über 65-jährige Menschen im Durchschnitt mindestens einen Sturz pro Jahr erleiden. Vor diesem Hintergrund ist es unvermeidlich, dass zunehmend auch Knochenbrüche entstehen, welche direkt an bestehende Prothesen heranreichen oder diese ganz miteinbeziehen. Der Fachausdruck dafür heisst periprothetische Fraktur. Am häufigsten sind aufgrund der mechanischen Belastung Brüche des Oberschenkelknochens im Kniegelenksbereich oder im Hüftbereich. Seltener sind Brüche des Oberarms nach Schulterprothesen.
Bei der Behandlung einer periprothetischen Fraktur geht es zuallererst darum, die starken Schmerzen des Patienten zu lindern. Der anschliessende operative Eingriff zielt darauf ab, den Knochenbruch zu versorgen und dabei die korrekten anatomischen Verhältnisse zwischen Knochen, Kunstgelenk und Weichteilen wiederherzustellen.
Für den Unfallchirurgen stellen periprothetische Frakturen eine Herausforderung dar: Kein Bruch ist genau gleich wie der andere, und keine zwei Patienten verfügen über die gleiche Härte und Konsistenz der Knochen. Das bedeutet, dass für jeden einzelnen Fall eine individuelle Lösung zur fachgerechten Rekonstruktion des Knochens gefunden werden muss. Wichtig ist, dass dabei auch die von Patient zu Patient unterschiedlichen Ansprüche berücksichtigt werden. Diese gehen – wie auch der Gesundheitszustand insgesamt – weit auseinander: Während die einen mit 80 Jahren zwar noch gehen können, ansonsten aber aufgrund etwa einer Herz- oder Lungenkrankheit stark eingeschränkt und behandlungsbedürftig sind, erfreuen sich andere in diesem Alter noch bester Gesundheit und treiben trotz Kunstgelenk Sport wie Wandern und Radfahren oder sogar Skifahren. Deshalb werden bei allen Patienten die Brüche mit dem festen Ziel versorgt, ihre vorbestehende Mobilität wiederherzustellen.
Betrifft die Fraktur nur das Hüftgelenk, gelingt es in der Regel, den Oberschenkelknochen um die Prothese herum anatomisch zu rekonstruieren und mit einer Platte, die mit Schrauben oder Titankabeln um den Knochen herum fixiert wird, zu stabilisieren. Auf diese Weise lassen sich die Verhältnisse vor dem Sturz wiederherstellen. Bei gewissen Frakturen ist es zweckmässig, gleichzeitig die bisherige Hüftprothese durch ein neues Implantat mit extralangem Prothesenschaft zu ersetzen.
Auch bei günstigem Verlauf müssen sich die Patientinnen und Patienten – zwei Drittel sind Frauen – auf eine Rehabilitationszeit von vier bis neun Monaten einstellen. Ein Teil davon wird sinnvollerweise im Rahmen einer stationären Kur absolviert, da das betroffene Bein in den ersten zwei Monaten kaum belastet werden darf und die Patienten auf Gehstöcke oder eine andere Gehhilfe angewiesen sind.
Eine 79-jährige Patientin erlitt bei einem Sturz einen Trümmerbruch zwischen Hüftprothese und Knieprothese. Aufgrund der starken Schwellungen, die durch so komplizierte Oberschenkelbrüche ausgelöst werden können, ist es gelegentlich ratsam, das Bein zunächst einige Tage mit einem sogenannten Fixateur externe ruhigzustellen. Das geschah auch im vorliegenden Fall, womit die Patientin sofort schmerzfrei war.
Nach sieben Tagen führte der Unfallchirurg die Rekonstruktion des Oberschenkelknochens durch, wobei er die verschiedenen Fragmente des Knochens mit zusätzlichen Titanbändern wieder einpasste. Fixiert wurde mit einer speziell für solche Fälle designten Titanplatte, die dank sogenannt winkelstabiler Schrauben auch bei ausgeprägter Osteoporose und Knochenerweichung eine stabile Fixation ermöglicht (vgl. Abb. 1).
Nach zwei Wochen wurde die Patientin aus dem Spital in eine Rehabilitationsklinik entlassen, wo sie in täglicher Physiotherapie das Gehen wieder erlernte. Die Operation fand vor einem halben Jahr statt, und die fitte Patientin hat vor Kurzem zu Fuss an zwei Walking-Stöcken schmerzfrei und gehfähig die Röntgenkontrolle aufgesucht. Sie lebt heute wieder selbständig zu Hause und führt zusammen mit ihrem Ehemann den Haushalt.
Abb. 1
Links – Das gebrochene Bein wird vor der Operation zunächst für einige Tage mit einem Fixateur externe ruhiggestellt.
Rechts – Der Operateur passt die Knochenfragmente mit Titanbändern ein und fixiert sie mit einer Titanplatte sowie winkelstabilen Schrauben.
Das zweite Beispiel handelt von einer 81-jährigen Patientin, deren Fraktur direkt oberhalb der Kniegelenksprothese verlief. Sie hat wegen ihrer bekannten Herzerkrankung ein erhöhtes Operationsrisiko. Ausserdem ist sie aufgrund einer geistigen Einschränkung nur noch wenig mobil ausserhalb ihrer eigenen Wohnung, wo sie von einer privaten Pflege unterstützt wird.
Der Knochenbruch konnte in diesem Fall durch einen minimalinvasiven Eingriff versorgt werden: Mittels eines kleinen operativen Schnitts unterhalb der Kniescheibe führte der Operateur einen Nagel ein, der die beiden Frakturteile stabil miteinander verband (vgl. Abb. 2). Diese Lösung erlaubt der Patientin eine Mobilisation mit Vollbelastung des Beins bis zur Schmerzgrenze. Wie schon im ersten Fallbeispiel waren auch bei dieser Patientin die kompetente Nachbehandlung und die regelmässige Physiotherapie für den langfristigen Therapieerfolg unerlässlich.
Abb. 2
Links – Der Oberschenkelknochen ist direkt über der Knieprothese gebrochen.
Rechts – Die beiden Frakturteile werden mit einem Nagel stabil miteinander verbunden. Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv durch einen kleinen Schnitt unterhalb der Kniescheibe.
Dank moderner Operationstechniken gelingt es der Unfallchirurgie auf immer wirksamere Weise, diese schwierigen und zunehmend auftretenden Probleme zu lösen. So kann sie den betagten Patienten ihre Mobilität und damit ein wichtiges Element ihrer Lebensqualität zurückgeben.