Einst Innovation, heute Standard - Der Da-Vinci-Roboter in der Urologie
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Vor circa 14 Jahren wurde die erste Prostataentfernung mit dem Da-Vinci-Robotersystem durchgeführt. Seitdem hat sich der Anwendungsbereich des Systems dank seiner hohen Präzision und der guten Ergebnisse bei komplexen Eingriffen vergrössert, und es wird zusehends auch für Nieren- und Blasenoperationen eingesetzt. Doch selbst dieses System hat seine Grenzen.
Mit da Vinci ist nicht der berühmte Künstler und Alleskönner Leonardo gemeint, sondern die vierte Generation des Operationsroboters, mit dem viele komplexe Operationen durchgeführt werden können. Diese Technologie ist eine Weiterentwicklung der Schlüsselloch-Chirurgie und wird vor allem für urologische Operationen wie die totale Prostataentfernung oder Nieren- und Blasenoperationen eingesetzt. Aber auch andere chirurgische Disziplinen, beispielsweise die Herzchirurgie, die Thorax- und Bauchchirurgie sowie die Gynäkologie, entdecken den Nutzen dieser faszinierenden Maschine.
Früher galt der Spruch: «Grosse Chirurgen, grosse Schnitte»; heute gehört dies glücklicherweise der Vergangenheit an und der Leitspruch lautet eher: «Klein, aber fein». Der Da-Vinci-Roboter bedeutet für den Patienten – wenn es keiner offenen Operation bedarf – dank kleiner Schnitte und hoher Präzision die Schonung wichtiger Strukturen des Körpers und damit einhergehend die Erhaltung vieler wichtiger Funktionen, und das heisst: mehr Lebensqualität. Die Patienten profitieren auch von weniger Schmerzen, kürzeren Hospitalisationszeiten und einer schnelleren Rückkehr ins normale Leben.
Die am häufigsten durchgeführte Operation mit dem System ist die totale Prostataentfernung bei Prostatakrebs, der häufigsten Krebskrankheit des Mannes über 50 Jahren. Die Sicherheit und die Entfernung des gesamten Tumors parallel zur Erhaltung von wichtigen Funktionen stehen bei diesem Eingriff im Vordergrund. Dabei geht es vor allem um die Themen Kontinenz und Potenz. Mit dem Da-Vinci-System können Nerven und Muskeln optimal erkannt und somit auch geschont werden. Während der Operation wird die entfernte Prostata an den Schnitträndern durch den Pathologen auf einen Tumorbefall untersucht. Dies dient dem Operateur bei der Entscheidung, ob er allenfalls die Operation weiter ausdehnen und mehr Gewebe entfernen muss. Dank diesem Vorgehen kann dem Patienten eine maximale Sicherheit und eine optimale Funktionserhaltung gewährleistet werden.
Seit der Einführung des Roboters vor circa 14 Jahren wird sein Einsatzgebiet sukzessive erweitert. Heutzutage werden Nierenbeckenplastiken oder Nierentumorentfernungen problemlos roboterassistiert oder laparoskopisch durchgeführt. Eine offene Operation mit schmerzhaften und einschränkenden grossen Schnitten im Flankenbereich ist nur noch in wenigen Ausnahmefällen notwendig, beispielsweise bei sehr grossen, infiltrativ wachsenden Tumoren.
Die Nierenerhaltung ist gemäss internationalen Studien, sofern technisch und anatomisch durchführbar, auch bei grösseren Tumoren anzustreben, um dem Patienten ein längeres Überleben und eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Etliche Studienresultate weisen klar darauf hin, dass ein Nierenverlust zu einer späteren Niereninsuffizienz und einer geringeren Lebenszeit führen kann. Die Erhaltung der Niere sowie der entsprechende Funktionserhalt stehen demnach klar im Vordergrund und können dank dem Einsatz der minimalinvasiven, roboterassistierten oder laparoskopischen Technik für den Patienten mit weniger Schmerzen, einer kürzeren Hospitalisationszeit sowie einem ansprechenden kosmetischen Resultat realisiert werden.
Der Roboter verfügt über mehrere Arme, die die Instrumente im Körper steuern.
Der Einsatz des Da-Vinci-Roboters etabliert sich im urologischen Fachgebiet zusätzlich zu Operationen an Prostata und Niere auch bei Eingriffen an der Blase. Selbst wenn sich die Grenzen des Systems weiter verschieben, muss der Operateur die Situation dennoch individuell und situativ einschätzen und erkennen, wo und wann der Einsatz dieser Technik nicht sinnvoll ist. Das technische Können und die Anwendungserfahrung sind ausschlaggebende Faktoren, um das Optimum aus der Technik herauszuholen, doch die Lokalisation und die Erkrankung bestimmen die Limiten.
Zur Behandlung von sehr weit fortgeschrittenen, grossen, in die Umgebung einwachsenden Tumoren ist das System nicht geeignet; dann sollte der herkömmlichen, offenen Technik der Vorzug gegeben werden. In solchen Situationen benötigt der Chirurg während der Operation oftmals seinen Tastsinn, was der Roboter noch nicht leisten kann.
Und natürlich können auch das einfühlsame Gespräch und die Berücksichtigung der individuellen Situation durch keine Maschine ersetzt werden.
Dr. Martin Baumgartner (MB): Wir stellen häufig fest, dass der Besuch beim Urologen ein Tabuthema ist. Vielfach ist es so, dass der Patient bei einem neu diagnostizierten Prostatakrebs denkt, er sei der Einzige, der davon betroffen sei. Beim zweiten Besuch erzählt er dann, dass viele seiner Kollegen auch schon beim Urologen waren und sein Schicksal teilen. Aber offenbar wird am Stammtisch nicht darüber geredet – oder eben erst, wenn es ernst wird. Vorsorgeuntersuchungen sind kein Thema.
Dr. Daniel Seiler (DS): Ja, das ist auch das Problem, denn viele Männer kommen sehr spät. Sie warten vielfach so lange, bis sich ihre Lebensqualität reduziert und die Hoden oder die volle Blase schmerzen. Das ist allerdings eine schlechte Strategie, denn gerade Prostatakrebs ist ein langsam wachsender Krebs, der im Anfangsstadium keine Schmerzen verursacht, jedoch gut behandelt und geheilt werden kann.
MB: Beim Hodenkrebs ist dies ein wenig anders. Dieser bildet einen steinharten Knoten im Hoden, und die Männer, die mehrheitlich im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind, merken, dass etwas nicht stimmt. Allerdings drücken sie im Durchschnitt mindestens drei Wochen daran herum, bis es so weh tut, dass sie sich melden. Das ist bedauerlich, da der aggressivere Hodenkrebs in dieser Zeit weiterwachsen konnte.
MB: Viele Männer leben getreu der Devise: Solange nichts weh tut, ist alles in Ordnung. Das bedeutet auch, dass sie nachts lieber bis zu viermal aufstehen, um Wasser zu lassen, oder dass sie so lange warten, bis das Wasserlassen nicht mehr geht, bevor sie einen Arzt aufsuchen.
DS: Zudem glauben viele Männer, dass eine urologische Untersuchung schmerzhaft sei.
MB: Nein, ganz und gar nicht. Früher hat das eher zugetroffen. Heute verfügen wir über deutlich feinere und flexiblere Instrumente sowie neue Techniken. Die Prostatabiopsie war früher schmerzhaft. Heute machen wir eine Lokalanästhesie und entnehmen gezielt ein winziges Stück Gewebe. Der Mann verspürt auch nach dem Nachlassen des Anästhetikums kaum Schmerzen.
DS: Bei den meisten Männern kommt ein ungutes Gefühl beim Thema Genital- und Rektaluntersuchung auf. Aber gerade diese Untersuche können zusammen mit einem PSA-Test wertvolle Lebensjahre retten, sollte sich ein positiver Befund ergeben. Frauen reden grundsätzlich mehr über Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit. Vielfach sind es die Frauen, die ihre Männer zur Untersuchung schicken.
DS: Bei einer Vorsorgeuntersuchung wird ein PSA-Bluttest gemacht, ein Prostata-Tastuntersuch, eine Harnstrahlmessung und ein Ultraschall, um den Restharn in der Blase zu definieren, sowie ein Ultraschall der Nieren. Zusammen mit dem Gespräch, das sehr wichtig ist, weil hier auch Themen wie familiäre Belastung, Medikamenteneinnahme, mögliche Vorerkrankungen oder Operationen etc. angesprochen werden, dauert die Vorsorgeuntersuchung circa 30 Minuten. Doch Männer bringen lieber das Auto zweimal jährlich in den Service, als sich selber durchchecken zu lassen.
MB: Gemäss internationalen Richtlinien ist eine solche ab dem 50. Lebensjahr sinnvoll. Bei familiärem Auftreten eines Prostatakarzinoms wird eine Vorsorgeuntersuchung zwischen 40 und 45 Jahren empfohlen.
MB: Nein, das ist nicht der Sinn der Sache. Es geht ab 50 um eine Standortbestimmung. Ist der PSA-Wert in der Norm, der Tastuntersuch unauffällig und bestehen keine Probleme beim Wasserlösen, so reicht es, je nach Ausgangs-PSA-Wert, den PSA-Test in drei bis fünf Jahren zu wiederholen. Der Test und die Anamnese können auch vom Hausarzt durchgeführt werden.
DS: Vielfach herrscht die Meinung vor, was der Gynäkologe für die Frau, sei der Urologe für den Mann. Dem ist nicht so. Wir sind zwar für den Genitalbereich des Mannes zuständig, nehmen aber bedeutend mehr Behandlungen im Bereich von Nieren- und Blasenerkrankungen vor.
MB: Ja, für Blasen- und Nierenkrebs sowie für Steinleiden ist der Urologe zuständig, ob bei Frau oder Mann. Das gemischte Gebiet, in dem sowohl Gynäkologen als auch Urologen tätig sind, umfasst Blasenentzündungen, Beckenbodenprobleme und Inkontinenz.
Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird nur von der Prostata produziert. Der mittels Bluttest gemessene Wert ist sehr variabel und liegt im Normalbereich zwischen 1 und 3. Bei einem Wert über 3 bedarf es einer weiteren Abklärung durch den Urologen. Der erhöhte Wert kann auf eine Entzündung, eine gutartige Vergrösserung oder Krebs hinweisen.