Rund 67% der Schweizer Bevölkerung leidet mehrmals pro Jahr an Rückenschmerzen. Meistens sind sie harmlos und verschwinden nach ein paar Tagen von ganz allein. Doch was sollten Betroffene tun, wenn sie immer wiederkehren? Jasmin Schneider ist diplomierte Physiotherapeutin und stellvertretende Leiterin des Hirslanden Training, dem öffentlichen medizinischen Trainingscenter in Aarau. Im Interview erklärt sie, warum es sich lohnt, regelmässig zu trainieren.
Was können die Ursachen von Rückenschmerzen sein?
Jasmin Schneider: Rückenschmerzen können vielfältige Ursachen haben. Zum Beispiel kann es sich um eine Degeneration handeln, also um eine Abnutzung der Bandscheibe und der Wirbelsäulengelenke. Aber auch eine Nervenirritation durch einen Bandscheibenvorfall, eine kurzfristige muskuläre Überbelastung nach schwerer körperlicher Garten- oder Hausarbeit oder eine chronische Überbelastung durch Haltungsschäden können dafür verantwortlich sein. Osteoporose, viszerale (von inneren Organen hergeleitete) Schmerzen oder Tumore können ebenfalls Rückenprobleme auslösen.
Wann sollte bei Rückenschmerzen ein Arzt aufgesucht werden?
Jasmin Schneider: Rückenschmerzen sind meistens harmlos und klingen spätestens nach ein paar Tagen wieder ab. Wenn der Schmerz allerdings immer wieder kommt oder sogar Sensibilitätsstörungen am Fuss oder gar Muskellähmungen auftreten, sollten Betroffene unbedingt einen Arzt aufsuchen, um die Ursachen abzuklären. Lässt sich kein medizinischer Grund feststellen, werden die Rückenschmerzen meistens durch Muskelverspannungen ausgelöst, die durch zu wenig Bewegung, körperliche Überlastung, falsche Haltung oder seelische Belastungen entstehen können. In dem Fall ist es wichtig, die Muskulatur gezielt zu stärken.
Und wie?
Jasmin Schneider: Die Ursache des Rückenleidens zu erkennen ist entscheidend. Wir schauen uns den Patienten genau an, machen Tests und analysieren das Problem. Oft liegt es nicht nur an der Rückenmuskulatur. Eine verkümmerte Bauchmuskulatur kann ebenso Beschwerden hervorrufen. Eine abgeschwächte Muskulatur muss trainiert werden, der meist verspannte Gegenspieler hingegen gedehnt oder gelockert werden. Sinnvoll ist es, 2- bis 3-mal pro Woche für etwa 1 Stunde zu trainieren.
Das klingt sehr anspruchsvoll, vor allem für diejenigen, die bisher nicht trainiert haben…
Jasmin Schneider: … Anfangs kostet es sicherlich Überwindung, so viel Zeit für das Training aufzubringen. Doch aus Erfahrung weiss ich, wie schnell sich erste Fortschritte zeigen. Und schon nach etwa 2 Monaten werden die meisten von ihnen gar keine Rückenschmerzen mehr haben!
Was beinhaltet das Training?
Jasmin Schneider: Der Ablauf des Trainings ist wie folgt:
- Aufwärmen auf einem Ergometer als Vorbereitung für das Training an den Geräten
- Spezifische Vorbereitungs-Übungen, z. B. zum Mobilisieren der Wirbelsäule
- Übungen an den Geräten
- Cool Down sowie Herz-Kreislauf- oder Fettstoffwechseltraining
- Dehnen als Abschluss
Ebenfalls sind Koordinations- und Gleichgewichtsübungen ein wichtiger Teil des Trainings, ebenso das Rumpfzirkeltraining. Insbesondere den Rumpfzirkel regelmässig auch zu Hause zu machen lohnt sich, unter anderem da dieser nur ein paar Minuten dauert.
Nach der Einführungsphase empfehlen wir, nach etwa 3 Monaten nochmals gemeinsam mit einem Physiotherapeuten einen Kontrolltermin zu vereinbaren, denn oft schleichen sich Fehler ein. Später ist eine Trainingsanpassung alle 6 Monate sinnvoll.
Wichtig ist es, dass man ständig am Ball bleibt. Denn wer rastet, der rostet. Und je älter wir werden, desto schneller bauen sich unsere Muskeln ab, wenn wir nicht gezielt aktiv bleiben.
Das klingt nach einem Teufelskreis...
Jasmin Schneider: … So ist es! Besonders haben wir dies gemerkt, als wir aufgrund der Corona-Schutzmassnahmen des Bundesamts für Gesundheit das Hirslanden Training längere Zeit schliessen mussten. Unsere Patienten und Besucher berichteten uns, wie ihre Schmerzen in Rücken oder Beinen im Laufe der Trainingspause plötzlich wieder da waren. Auch der Wiedereinstieg in das Training fiel vielen schwer, da sich ihre Beweglichkeit und Stabilität und damit auch das generelle Wohlempfinden schon nach wenigen Wochen ohne Sport rapide verschlechtert hatte. So hat es sich einmal mehr bestätigt: Wenn es auch manchmal schwerfällt, lohnt es sich, den inneren "Schweinehund" zu überwinden. So stehen die Chancen gut, fit und beweglich zu bleiben - bis ins hohe Alter.