Die Darmgesundheit – seit einigen Jahren ist sie in aller Munde. Angeblich stärke sie unser Immunsystem und unser allgemeines Wohlbefinden. Doch stimmt das wirklich? Und wie wichtig ist ein gesunder Darm tatsächlich für unsere allgemeine Gesundheit? Der Gastroenterologe Prof. Dr. med. Stephan Teyssen erklärt, wie der Magen-Darm-Trakt unseren Körper schützt und was wir für eine intakte Darmflora tun können.
Man hört immer wieder, dass der Darm und die Darmflora unsere Gesundheit beeinflussen. Was bedeutet das?
Prof. Dr. Teyssen: Der so genannte Magen-Darm-Trakt beginnt in der Mundhöhle, geht über in Speiseröhre, Magen, Dünndarm und endet im Dickdarm. Die Aufgabe dieses aufeinander abgestimmten Systems ist die Zerkleinerung der Nahrungsmittel, Weiterverarbeitung bis hin zur Aufnahme in den menschlichen Körper. Die Bauchspeicheldrüse, Leber und Gallenblase werden dafür ebenfalls benötigt.
Darüber hinaus dient der Magen-Darm-Trakt als wichtiges Abwehrsystem von Giftstoffen und damit als Schutzschild für unseren Körper. Dafür ist die so genannte Darmbarriere verantwortlich, ein Verschlusssystem der Darmzellen gegenüber krankmachenden Fremdstoffen und Giften. Sie besteht aus der gesunden Darmflora des Dickdarms, der Darmschleimhaut und unseres Immunsystems, von dem sich rund 80% in unserem Darm befindet. Der Begriff Darmflora bezeichnet die Gesamtheit aller Bakterien im Darm.
Was hat es mit den Darmbakterien auf sich und was haben sie mit unserer Gesundheit zu tun?
Prof. Dr. Teyssen: Ist die Darmbarriere geschädigt, können Giftstoffe in unseren Organismus eindringen und Erkrankungen verursachen. Daher ist der Magen-Darm-Trakt in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Forschung gerückt. Mittlerweise nehmen Wissenschaftler sogar an, dass der Darmbarriere eine Schlüsselfunktion bei der Abwehr und Entstehung von Krankheiten zukommt. Und hierbei spielt die Darmflora mit ihrer Zusammensetzung aus gesundheitsfördernden und schädigenden Bakterien eine zentrale Rolle.
Was passiert, wenn es ein Ungleichgewicht von "guten" und "schlechten" Bakterien gibt?
Prof. Dr. Teyssen: Mehr als 400 verschiedene Bakterienarten gibt es in der Darmflora. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die Darmbarriere gegen das Eindringen von Krankheitserregern zu unterstützen, das Immunsystem zu stärken und spezielle Stoffe zu produzieren, um krankheitserregende Keime abzutöten. Liegt ein Ungleichgewicht zugunsten der «schlechten» Bakterien über längere Zeit vor, kann es zwangsläufig zur Entstehung von Krankheiten kommen. Die Darmwand wird durchlässiger, was wir als «leaky gut» bezeichnen, und es geraten mehr Giftstoffe aus der Nahrung in den Blutkreislauf.
Welche Krankheiten können dadurch verursacht werden?
Prof. Dr. Teyssen: Bleibt eine gestörte Darmflora länger bestehen, kann dies zu Infektionen und chronischen Erkrankungen führen. Weiter können Lebensmittelallergien, ein erhöhter Entzündungszustand und Autoimmunerkrankungen auftreten. Darüber hinaus gibt es viele Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang mit einer gestörten Darmflora vermutet und von Forschern derzeit untersucht wird. Dazu zählen das Metabolische Syndrom mit Diabetes mellitus, Arteriosklerose und Herzinfarkt, entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, Darmbeschwerden wie Stuhlunregelmässigkeiten, Blähungen und Blähbauch, Reizdarmsyndrom, Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien, Infektanfälligkeit, rheumatische Erkrankungen, Hauterkrankungen und psychischen Erkrankungen.
Das klingt ernst. Was kann man gegen eine gestörte Darmflora tun?
Prof. Dr. Teyssen: Um das Gleichgewicht in der Darmflora wiederherzustellen, ist entscheidend, was wir essen und wie wir es zu uns nehmen. Eine ausgewogene, ballaststoffreiche Kost ist ideal, gegessen in Ruhe, nicht unter Stress. Ballaststoffe sind gut für die Bakterien. Sie dienen als Futter für sie und regen die Darmbewegung an. Ballaststoffe sind z. B. in Vollkornprodukten, insbesondere Roggen, sowie in Gemüse, Leinsamen und Hülsenfrüchten enthalten. Die Nahrung sollte nicht zu viele Fette und Zucker enthalten. Es gilt das alte Sprichwort "Du bist, was du isst." – im Positiven wie im Negativen. Resistente Stärke wie in gekochten und abgekühlten Kartoffeln ist gut für die Darmflora, da diese umgebaute Stärke nicht verdaut werden kann und als Nahrung für die Bakterien gilt. Im Krankheitsfall ist die Ernährungsberatung eine wichtige Anlaufstelle.
Muss ich jetzt also für immer auf Süssigkeiten, Wurst und Fertigprodukte verzichten?
Prof. Dr. Teyssen: Darauf muss sicherlich nicht verzichtet werden, aber weniger ist in dem Fall mehr. Es kommt auf das Verhältnis der Nahrungsmittel an. Am besten sind Speisen, die frisch zubereitet und natürlich sind.
Stimmt es, dass fermentierte Lebensmittel gut für uns sind?
Prof. Dr. Teyssen: Das Prinzip der Fermentation wird schon seit Jahrhunderten zur Haltbarmachung von Nahrung angewendet. Indem Lebensmittel unter Ausschluss von Sauerstoff gären, entstehen lebendige Bakterienkulturen, also Probiotika, die sich in grosser Anzahl in fermentierten Nahrungsmitteln tummeln. Sie tragen zu einer gesunden Darmflora bei und stärken so die Abwehrkräfte. Viele fermentierte Lebensmittel sind besonders magenfreundlich, zucker- und kalorienarm.
Sauerkraut ist der Klassiker unter den fermentierten Lebensmitteln und enthält zudem noch jede Menge an wertvollem Vitamin C. Auch Naturjogurt und Kefir, ein Sauermilchgetränk, gehören dazu. Weiter zählen Kimchi, ein fermentierter Chinakohl sowie Miso, eine Paste aus fermentierten Sojabohnen und Tempeh dazu, das ebenfalls aus fermentierten Sojabohnen gemacht und gerne als Fleischalternative verwendet wird.
Was kann man neben der Ernährung für seine Darmgesundheit tun?
Prof. Dr. Teyssen: Stress ist schädlich für das Verdauungssystem, wortwörtlich "schlägt er einem auf den Magen". Bewegung, Spaziergänge, Sport und Entspannungsübungen sind wichtige Voraussetzungen für unsere Darmgesundheit. Wenn wir uns wohl fühlen, dann gilt dies auch für den Magen-Darm-Trakt.