Die chronische Verstopfung ist ein häufiges Problem. In den USA wird angenommen, dass bis zu 20% der Bevölkerung darunter leiden. Bis zu 3 Millionen Arztbesuche jährlich und mehrere hundert Millionen Dollar Medikamentenkosten sind in den vereinigten Staaten die Folge. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, ältere Menschen mehr als jüngere. Die Ursache ist häufig banal und so auch die Therapie. Doch oft verbergen sich hinter einer Verstopfung andere Ursachen, die einer eingehenden Abklärung bedürfen.
Bin ich verstopft?
Für viele Patienten ist der Gang auf die Toilette keine Selbstverständlichkeit: Der Stuhlgang ist zu selten, zu hart oder schmerzhaft. Sie leiden unter chronischer Verstopfung. Doch was man unter Verstopfung zu verstehen hat, ist für viele Patienten, aber auch für viele Ärzte unklar. Lange Zeit war Verstopfung in medizinischen Fachkreisen schlecht definiert. An einer Fachärzte-Konferenz in Rom wurden erst 1999 Definitionen vereinbart, die heute als "Rom-II-Kriterien" bekannt sind. Diese "Rom-II-Kriterien" wurden im Jahr 2006 geringfügig modifiziert und sind heute als "Rom-III-Kriterien" gültig. In dieser Definition wird die chronische Verstopfung als Kombination von verschiedenen Symptomen verstanden.
Diagnose der chronischen Verstopfung - Rom-III-Kriterien
Diagnose der chronischen Verstopfung - Rom-III-Kriterien
Ein Patient leidet gemäss dieser Definition an Verstopfung, wenn er in den letzten 6 Monaten für mindestens 12 Wochen in einem Viertel aller Stuhlgänge 2 der unten aufgeführten Beschwerden aufgewiesen hat.
- Klumpiger oder harter Stuhl
- Gefühl der inkompletten Darmentleerung
- Gefühl der analen Blockierung
- Manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation (Ausräumung mit dem Finger, Stützen des Beckenbodens)
- Weniger als 3 Stuhlgänge pro Woche
- Weicher Stuhlgang nur mit Abführmitteln
- Ungenügende Kriterien für ein Reizdarmsyndrom
Aus dieser Definition wird klar, dass sich die Diagnose einer Verstopfung nicht nur nach der Quantität der Stuhlgänge richtet (wie viel Stuhlgänge pro Woche), sondern vor allem auch nach der Qualität (wie geht der Stuhlgang vor sich). Ein Patient, der täglich Stuhlgang hat, kann trotzdem unter Verstopfung leiden, wenn er ein Gefühl der unvollständigen Entleerung hat ("es geht nicht alles raus"), er beim Stuhlgang stark pressen muss, harten Stuhl hat oder mit dem Finger beim Stuhlgang nachhelfen muss.
Ursachen der Verstopfung
Ursachen der Verstopfung
Die Ursache der Verstopfung scheint klar zu sein. Eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr, zu wenig Ballaststoffe in der Nahrung und zu wenig Bewegung waren bislang die angeschuldigten Hauptfaktoren, welche zur Verstopfung führen können. Damit liesse sich auch erklären, warum die Verstopfung vor allem in der älteren Bevölkerung vorkommt. Doch leider scheinen diese Erklärungsversuche auf Mythen zu gründen, welche sich von einer Generation auf die andere übertragen. Bis heute gibt es keine guten wissenschaftlichen Studien, die diese Hypothesen stützen würden. Die Ursache der Verstopfung scheint viel komplexer zu sein, als bislang angenommen wurde. Prinzipiell lässt sich die Verstopfung in eine primäre und eine sekundäre einteilen.
Die primären Ursachen lassen sich in 3 Gruppen unterteilen: Verstopfung mit normaler Passagezeit (auch funktionelle Verstopfung genannt), Verstopfung mit verzögerter Passagezeit ("träger Darm" oder engl. "slow transit constipation") und Verstopfung aufgrund einer Beckenboden-Störung (sog. "outlet-obstruction", oder auf deutsch: "Behinderung des Ausganges"). Die funktionelle Verstopfung ist die häufigste Art, bei der die Zeit der Darmpassage für den Stuhl normal ist. In der Regel beträgt diese Passagezeit weniger als 72 Stunden. Bei der Verstopfung mit verzögerter Passagezeit überwiegt als Symptom der zu seltene Stuhlgang, häufig kombiniert mit Blähungen. Als Ursache werden Störungen der Darm-regulierenden Nerven diskutiert. Bei der Verstopfung aufgrund einer Beckenboden-Störung besteht eine Fehlregulation der Beckenboden-Muskulatur, welche die Entleerung des Stuhles erschwert. Bei dieser Art der Verstopfung herrscht das Gefühl der ‚Blockade’ bzw. der inkompletten Darmentleerung vor. Zuweilen können die Patienten den Stuhl nur unter manueller Hilfe herausbringen d.h. indem sie den Finger in den After oder in die Scheide einführen, womit sie den Stuhl aus dem Enddarm drücken können.
Die sekundäre Verstopfung ist seltener als die primäre. Als unmittelbare Ursache der Verstopfung stehen hier andere Erkrankungen, wie die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Störungen der Schilddrüse und der Nebenschilddrüse, psychiatrische Störungen (Depression), das Reizdarmsyndrom oder der Darmkrebs. Bei den sekundären Störungen sind die letzten zwei von besonderer Bedeutung. Das Reizdarmsyndrom ist sehr häufig, junge Frauen sind vor allem davon betroffen. Beim Reizdarmsyndrom handelt es sich um eine Fehlregulation des gesamten Magen-Darm-Traktes, die oft mit Krämpfen aber auch mit Episoden von Durchfällen einhergeht. Die Ursache ist unbekannt und die Therapie schwierig.
Der Darmkrebs ist eine wichtige Ausschlussdiagnose in der Abklärung der Verstopfung. In einer Studie, bei welcher über 500 Patienten mit Verstopfung abgeklärt wurden, wurden in 1.4% der Patienten ein Darmkrebs gefunden, in 20% mögliche Vorstufen davon (sog. Adenome).
Wann und wie muss eine Verstopfung abgeklärt werden?
Wann und wie muss eine Verstopfung abgeklärt werden?
Erfüllt ein Patient die Kriterien der chronischen Verstopfung (siehe Rom-Kriterien), so sollte zuerst eine sekundäre Verstopfung ausgeschlossen werden. Das Ausmass der Abklärung richtet sich jedoch nach dem genauen Beschwerdebild, dem Alter des Patienten und allfälligen Begleitsymptomen. Entscheidend ist das Abfragen der einzelnen Rom-III-Kriterien, insbesondere die Frage nach hartem Stuhlgang, dem Gefühl der inkompletten Darmentleerung und der Zuhilfenahme der Finger zur Ausräumung des Enddarms. Diese Symptome bzw. Umstände werden vom Patienten häufig nicht spontan berichtet. Neben der genauen Erhebung des Beschwerdebildes kann die Untersuchung des Enddarmes mit dem Finger sehr aufschlussreich sein. Neben einem allfälligen Tumor - etwa ein Drittel aller Darmkrebse können mit dem Finger ertastet werden! – kann eine Aussage über die Funktion des Beckenbodens gemacht werden. Eine genaue Befragung als auch eine Untersuchung mit dem Finger sollte bei allen Patienten mit chronischer Verstopfung durchgeführt werden. Ob eine Blutentnahme zum Ausschluss hormoneller Störungen oder eine Darmspiegelung durchgeführt werden soll, hängt von Begleitsymptomen und vom Alter des Patienten ab. Ab einem Alter von 50 Jahren sollte bei allen Patienten mit Verstopfung eine Darmspiegelung durchgeführt werden, sofern nicht in den letzten 5 Jahren bereits eine Darmspiegelung durchgeführt wurde! Bei Patienten zwischen 40-50 Jahren kann ebenfalls eine Darmspiegelung bereits in Erwägung gezogen werden. Bei einem Patienten unter 40 Jahren ist eine Darmspiegelung nur nötig, wenn bei Familienmitgliedern des Patienten bereits früh Darmkrebsfälle vorgekommen sind.
Die Untersuchung des Beckenbodens mittels Magnetresonanz (sog. MR-Defäkographie) ist in der Abklärung der chronischen Verstopfung nicht mehr wegzudenken. Mit der MR-Defäkographie lassen sich die Bewegungen des Beckenbodens und aller seiner Anteile (Blase, Scheide, Gebärmutter, Enddarm, Dünndarm) genau verfolgen und als Filmsequenz anzeigen. Diese Untersuchung ist vor allem bei Patienten angezeigt, bei denen eine Störung des Beckenbodens bzw. eine "outlet-obstruction" (übersetzt: "Ausgangs-Verstopfung") vermutet wird. Als "outlet-obstruction" wird eine Verstopfung bezeichnet, bei der die Ursache am Ende des Darmes, sozusagen am "Ausgang" des Darmes liegt. Eine Verstopfung ist dann durch eine Störung des Beckenbodens bedingt, wenn eine falsche Koordination der Beckenbodenmuskeln vorliegt oder aber ein innerer Darmvorfall. Beim letzteren stülpt sich der Darm in sich selber ein und bildet so ein verschliessendes Ventil. In Kombination mit der MR-Defäkographie führen wir häufig auch eine Druckmessung des Enddarmes bzw. des Schliessmuskels durch. Mit dieser Untersuchung können funktionelle Störungen, d.h. Störungen aufgrund einer Fehlregulation der Beckenbodenmuskeln, ebenfalls zuverlässig entdeckt werden.
Führen diese Untersuchungen zu keiner befriedigenden Diagnose, ist eine Transitzeitmessung notwendig. Bei dieser Untersuchung werden röntgendichte Kügelchen (sog. "Marker") – eingepackt in Gelatine-Kapseln - über regelmässige Abstände eingenommen. Finden sich nach 72 Stunden im Röntgenbild immer noch Marker im Darm, so kann von einer verzögerten Passagezeit ausgegangen werden.
Therapie der Verstopfung
Therapie der Verstopfung
Die chronische Verstopfung ist häufig und häufig auch ein banales Problem; doch eben nicht immer. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie der chronischen Verstopfung ist die genaue Befragung des Beschwerdebildes und die genaue Kenntnis der Funktion und der Anatomie des Beckenbodens. Ein Team aus verschiedenen Fachleuten (spezialisierte ChirurgInnen, Magen-Darm-SpezialistInnen, RöntgenärzteInnen und PhysiotherapeutInnen) wird der Komplexität des Beckenbodens am ehesten gerecht.
Wenn immer möglich sollten die Abklärungen und die Therapie der chronischen Verstopfung interdisziplinär (d.h. im Team aus verschiedenen Fachleuten) besprochen und angegangen werden. Voraussetzung eines jeden therapeutischen Erfolges aber liefert der Patient selbst, indem er mit seinem Arzt über das Problem der chronischen Verstopfung spricht.
Obwohl wissenschaftliche Daten fehlen, dass eine vermehrte Flüssigkeitszufuhr (2-3 Liter pro Tag), eine ballaststoffreiche Kost oder viel Bewegung den Stuhlgang erleichtern, besteht dennoch der erste therapeutische Ansatz in einer Umstellung der Lebensgewohnheiten hin zu mehr Trinken, mehr Ballaststoffen und mehr Bewegung. Führen diese Massnahmen nicht zum Erfolg, können die Einnahme von Stuhlregulatoren (Quellmittel wie Metamucil® oder Benefiber®) oder Abführmitteln Hilfe bringen. An unserer Klinik verwenden wir meist Metamucil® in Kombination mit Movicol®. Letztere sind beides Abführmittel, welche den Darm gewissermassen ausschwemmen. Wichtig hier ist zu wissen, dass die Angst einer Gewöhnung an Abführmittel unbegründet scheint, da dies durch keinerlei wissenschaftliche Daten untermauert ist. Natürliche Stuhlregulatoren wie Weizenkleie, Leinsamen oder Feigen können natürlich auch eingesetzt werden.
Liegt eine sekundäre Verstopfung vor, muss die der Verstopfung zugrundeliegende Ursache zuerst behoben werden (zum Beispiel Korrektur einer Schilddrüsenunterfunktion oder einer Depression).
Liegt eine reine Fehlregulation des Beckenbodens vor (sog. "Anismus") so kann mit Physiotherapie bzw. einem speziellen Beckenbodentraining (sog. Biofeedback) Linderung erzielt werden. Biofeedback-Trainings werden aber nur an spezialisierten Zentren angeboten.
Bei der primären Verstopfung spricht die Gruppe mit einer normalen Transit- bzw. Passagezeit in der Regel gut auf konservative Massnahmen an (Einnahme von Quell- bzw. milden Abführmitteln). Liegt eine Verstopfung mit einer verzögerten Transitzeit vor, so richtet sich die Therapie ganz nach dem Beschwerdebild des Patienten. Ist der Leidensdruck sehr hoch, muss oft durch eine Entfernung des Dickdarmes das Problem gelöst werden. Alternativ kann in dieser Situation eine Stimulation der Beckenbodennerven mit Strom versucht werden (sog. Sakrale Nervenstimulation, SNS). Es konnte gezeigt werden, dass damit die Motorik des gesamten Darms angeregt werden kann. Die Operation läuft in 2 Phasen ab, einer Testphase und einer permanenten Phase. In der Testphase wird zunächst der Beckenbodennerv im Bereich des Steissbeines mit einer Nadel lokalisiert, um dann eine feine Elektrode in die Nähe des Nervs einzubringen. Diese Operation geschieht in lokaler Betäubung und wird ambulant durchgeführt. Danach erfolgt eine vierzehntägige Testphase zur Beurteilung des Therapieerfolges. Wird in dieser Testphase eine Verbesserung der Beschwerden um mindestens 50% erreicht, erfolgt die Implantation einer kleinen Batterie (ähnlich einem Herzschrittmacher) unter die Haut des Gesässes. Als "ultimo ratio" bei stark verminderter Darmmotorik steht die Entfernung des Dickdarmes.
Bei der häufiger vorkommenden ‚outlet-obstruction’ richtet sich die Therapie nach der genauen Ursache. Liegt als Ursache der ‚outlet-obstruction’ ein innerer Darmvorfall vor, so muss eine chirurgische Therapie angestrebt werden. Ein innerer Vorfall entsteht durch eine Bindegewebsschwäche, womit der Enddarm sich selber einstülpt und dann gewissermassen ein blockierendes Ventil bildet. Dieses Ventil kann mit einer neuen Therapie, der sog. Stapled TransAnal Rectal Resection (STARR), angegangen werden. Diese Methode ist wenig schmerzhaft und kann im Rahmen einer 2-3 tägigen Hospitalisation durchgeführt werden
SNS-Teststimulation: Operationsinformationen
SNS-Teststimulation: Operationsinformationen
Vorbereitung: keine
Anästhesie: Lokalanästhesie
Operationsdauer: 45-60 Minuten
Spitalaufenthalt: ambulant
Arbeitsunfähigkeit: 2-3 Wochen
Nachbehandlung: keine
SNS-definitive Implantation: Operationsinformationen
SNS-definitive Implantation: Operationsinformationen
Vorbereitung: keine
Anästhesie: Lokalanästhesie
Operationsdauer: 30 Minuten
Spitalaufenthalt: ambulant
Arbeitsunfähigkeit: 1 Woche
Nachbehandlung: keine
STARR-Operation: Operationsinformationen
STARR-Operation: Operationsinformationen
Vorbereitung: keine
Anästhesie: Vollnarkose
Operationsdauer: 60 Minuten
Spitalaufenthalt: 2-3 Tage
Arbeitsunfähigkeit: 1 Woche
Nachbehandlung: Stuhlregulation