Nachdem die Behandlungen am Standort Cham im zweiten Quartal 2020 auffallend gering waren, wurden in den ersten Monaten vom Jahr 2021 so viele Patientinnen in einem vergleichbaren Zeitraum behandelt wie noch nie. Die beiden Experten PD Dr. med. Joachim Rehbock und Prof. Dr. med. Andreas Günthert berichten über die Versorgung von Patientinnen während der Covid-Pandemie, die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie über die Behandlungen und Entwicklungen in der Brustkrebstherapie.
Am Brustzentrum Aarau Cham Zug werden jährlich über 200 Patientinnen mit neu diagnostiziertem Brustkrebs behandelt. Die rückläufige Entwicklung im zweiten Quartal vom Jahr 2020 ist vermutlich auf eine zurückhaltende Einstellung für Konsultationen aufgrund der Pandemie zurückzuführen. Dieses Verhalten konnte auch an anderen Brustzentren beobachtet werden. Am Brust Zentrum mit Standort Cham zeichnet sich im Jahr 2021 bisher ein gegensätzliches Bild mit doppelt so hohen Fallzahlen in einem vergleichbaren Zeitraum ab. Dieses Ergebnis könnte ein verzögerter Rebound der Konsultationen nach der letztjährigen Zurückhaltung sein oder ein positiver Effekt aufgrund der hohen Behandlungsqualität durch die Spezialisten am Brust Zentrum. Zum Team am Standort Cham gehören unter anderem die Fachärzte für Gynäkologie mit Privatdozent Dr. med. Joachim Rehbock und Prof. Dr. med. Andreas Günthert. Im Gespräch geben Sie Einblicke in ihre Expertise und Erfahrungen.
Hat die Pandemie einen Einfluss auf die Versorgung von Brustkrebspatientinnen?
Prof. Dr. Günthert: Ziemlich sicher ja, wobei sich der Einfluss im Laufe der Pandemie ändert. Vor einem Jahr war eine grosse Unsicherheit vorhanden, weswegen Arztbesuche auf ein Minimum reduziert wurden. Auch Therapieverzögerungen in der Tumortherapie aus Sorge vor einer Ansteckung sind vorgekommen. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum vorübergehenden im 2. Quartal vom Jahr 2020 weniger Fälle mit Brustkrebs diagnostiziert wurden. Jetzt besteht eher die Sorge, ob die Impfung nicht schnell genug gegeben werden kann. Bedauerlich ist, dass der direkte Austausch fehlt - sei es zu Patientengruppen in der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch bei Ärztefortbildungen. Online lässt sich zwar vieles ermöglichen, das ist aber nicht gleichwertig.
Wie sieht die Zusammenarbeit am Brust Zentrum Aarau Cham Zug aus?
PD Dr. Rehbock: Das Brust Zentrum mit seinem Kernstück, dem Tumorboard, besteht schon viele Jahre. Nach dem Zusammenschluss mit den Kollegen in Aarau und in gemeinsamer Anstrengung erfolgte vor drei Jahren erfolgreich die Zertifizierung. Mit der Zertifizierung konnten die Vorgehensweisen entsprechend der geforderten Leitlinien im deutschsprachigen und internationalen Raum standardisiert werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus einem Team mit Fachärzten und Fachpersonen erhöht die Lebhaftigkeit und Vertiefung der Diskussion, was schlussendlich zu einer individuelleren und qualitativ hochwertigeren Behandlung unserer Patientinnen führt. Das sehe ich als sehr begrüssenswerte Entwicklung.
Sie sind politisch in der Schweizer Gesellschaft für Senologie tätig. Lässt sich Qualität messen?
Prof. Dr. Günthert: Ich bin Past-Präsident der SGS. Wir setzen uns ständig für die Verbesserung der Qualitätskriterien der Schweizer Zertifizierung der Brustzentren nach dem Q-Label ein. Qualität lässt sich indirekt messen, indem ein Brustzentrum sehr strenge Auflagen erfüllen muss, um dieses Label zu erhalten und es zu behalten. Ausserdem spielt eine ausreichende Fallzahl eine Rolle. Wird diese unterschritten, besteht das Risiko, dass die Erfahrung nicht ausreicht. Letztendlich ist aber die Zufriedenheit der Patientinnen und der Zuweiser das wichtigste Qualitätskriterium. Wenn die Qualität nicht gut ist, spricht sich das relativ rasch herum.
Welche Möglichkeiten bestehen bei Brustkrebs und Kinderwunsch?
PD Dr. Rehbock: Das Tumorboard ist bei diesem Thema von zentraler Bedeutung. Die Präsenz des betreuenden niedergelassenen Arztes, der die Patientin oft schon mehrere Jahre kennt, ist von grossem Wert. Der Wunsch der Patientin, die Bereitschaft für ein gewisses Risiko und die Abwägung der individuellen Tumoreigenschaften mit ihrer prognostischen Bedeutung müssen in die Bewertung einfliessen. In vielen Fällen kann der Patientin zugeraten werden, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Nicht selten hört man später von den jungen Müttern: Das war die beste Entscheidung meines Lebens.
Gibt es neue und schonende Operationstechniken?
PD Dr. Rehbock: Die Medizin ist in ständiger Weiterentwicklung. Das Tempo beschleunigt sich mit den neuen Möglichkeiten der Kommunikation und des Wissensaustausches. Mit Blick auf die Operationstechniken zeigt sich eine zunehmende Zurückhaltung bei den axillären Lymphknotenentfernungen. Die Sentinel-Lymphonodektomie eröffnet in immer mehr Fällen die Möglichkeit, auf die vollständige Lymphonodektomie, die sog. Axilladissektion (Lymphknotenentfernung), zu verzichten. Dieses Vorgehen führt zu keinen Abstrichen in der onkologischen Sicherheit, dafür aber zu einer wesentlich geringeren Beeinträchtigung der Patientin. Die brusterhaltende Therapie kann in etwa 80% der Fälle angewendet werden. Gynäkologische Operateure konnten grosse Fortschritte bei der onkoplastischen Rekonstruktion in der brusterhaltenden Therapie erzielen. Das möglichst ungestörte Körperbild bedeutet einen grossen Gewinn für die Selbstsicherheit und das Wohlbefinden der Patientin.
Was sind die wesentlichen Errungenschaften in der Brustkrebstherapie in den letzten Jahren?
Prof. Dr. Günthert: Die Therapie von Patientinnen mit Mammakarzinom ist durch die Errungenschaften in der Molekularbiologie und durch technische Möglichkeiten wesentlich komplexer geworden. Durch neue Medikamente oder Modifizierungen im Ablauf der geplanten Therapien werden Operationen immer weniger radikal. Ebenso erfolgen Chemotherapien nicht mehr aus Verlegenheit, sondern begründet mit molekularen Tests. Mittlerweile können beispielsweise Antikörper-Therapien subkutan bei gleicher Wirksamkeit verabreicht werden. Neue Medikamente wie die CDK4/6-Inhibitoren ermöglichen beim fortgeschrittenem Mammakarzinom Therapieverläufe, die wir uns vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnten. Zudem spielt die Humangenetik eine sehr grosse Rolle. Diese wird von Anfang an in die Risikostratifizierung und in die Therapieentscheidung einbezogen. Wir können also viel gezielter, individueller und auch schonender behandeln.
Wir bedanken uns für das spannende und informative Gespräch mit PD Dr. med. Joachim Rehbock und Prof. Dr. med. Andreas Günthert.